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Aktuelle Therapie der Parkinsonerkrankung

Info Neurologie&Psychiatrie - Wenn medikamentöse Strategien keine befriedigende Einstellung mehr erzielen, werden zunehmend früher apparate-gestützte Behandlungen eingesetzt. In allen Stadien der Erkrankung ist auch die Neurorehabilitation wichtig. Mittels randomisiert kontrollierter Studien wurden spezifische Therapie- Protokolle entwickelt, die gut wirksam sind.
30. September 2016
Lesezeit: 15 Minuten
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Die Parkinsonerkrankung ist gekennzeichnet durch asymmetrische Bradykinese, Ruhetremor und Rigor. Ursache dieser motorischen Symptome ist ein Dopaminmangel in den Basalganglien, der durch Untergang projizierender Neurone aus dem Mittelhirn (Substanzia nigra) entsteht. Das gute Ansprechen auf die dopaminerge Therapie ist ein wichtiges supportives Kriterium für die Diagnose. Dieser Artikel fokussiert auf die Behandlung der motorischen Symptome. Die wichtigen nicht-motorischen Probleme werden erwähnt, aber nicht vertieft.

Grundlagen der medikamentösen Behandlung im Frühstadium

Motorische Parkinsonsymptome, die zur Diagnose führen, treten auf, wenn bereits 50-80% der dopaminhaltigen Zellen untergegangen sind. Für die Diskussion der Behandlung ist es wichtig, sich die Progression der Parkinsonerkrankung in drei Stadien vor Augen zu halten:

  1. Frühphase (2-5 Jahre), in der die orale Therapie unkompliziert ist. Die Patienten sind mit wenigen Einnahmezeiten täglich gut eingestellt («Honeymoon»-Phase).
  2. Mittlere Phase (bis 10 Jahre), in der motorische Komplikationen wie Wirkungsschwankungen und Dyskinesien auftreten. Nach 4-6 Jahren sind bereits ca. 40%, am Ende der mittleren Phase 90% der Patienten betroffen [1].
  3. Spätphase (>10 Jahre), in der axial-motorische (posturale Instabilität, Dysarthrie) und kognitive Probleme dominieren.

In der Frühphase stellt sich die Frage, wann die Behandlung begonnen werden sollte. Entscheidendes Kriterium ist die Beeinträchtigung im Alltag. Der Behandlungsbeginn sollte nicht unnötig hinausgezögert werden, um etwa späteren Wirkungsschwankungen vorzubeugen. Denn für das Risiko von Wirkungsschwankungen ist nicht die Dauer der pharmakologischen Behandlung, sondern die Krankheitsdauer massgebend. Zudem sind in der Frühphase die Ergebnisse der oralen Pharmakotherapie am besten. Ein längeres Hinauszögern der Behandlung würde diese unkomplizierte Phase der Behandlung verkürzen, ohne das Risiko für motorische Komplikationen relevant zu beeinflussen. Zu behandeln, bevor beeinträchtigende Symptome auftreten, ist andererseits auch nicht gerechtfertigt, da bisher keine neuroprotektive Wirkung der Medikation nachgewiesen werden konnte.

Beginn mit Levodopa, Dopaminagonisten oder MAO-B-Hemmern

Die Behandlung kann mit Levodopa, Dopaminagonisten (Pramipexol, Ropinirol und Rotigotin als Pflaster) oder bei milden Symptomen mit einem MAO-B-Hemmer (Selegilin, Rasagilin) begonnen werden, wobei Levodopa auch mehr als 50 Jahre nach seiner Einführung die wirksamste und am besten verträgliche Medikation ist [2]. Levodopa kann als Vorläufersubstanz die Blut-Hirn-Schranke überwinden und wird von dopaminhaltigen Nervenzellen in Dopamin umgewandelt. Levodopa wird immer mit einem Decarboxylase-Hemmer (Benserazid oder Carbidopa) kombiniert, um die Bioverfügbarkeit und Verträglichkeit zu verbessern. Dopaminagonisten vermitteln ihre Wirkung über Dopaminrezeptoren. MAO-B-Hemmer wirken dopaminerg durch Hemmung des Dopaminabbaus.

Levodopa von Beginn an mit einem COMT-Hemmer (Entacapon) zu kombinieren, der die Wirkungsdauer von Levodopa verlängert, ist nicht indiziert, wie die STRIDE-PD Studie zeigte [3]. Das Konzept, dass diese Kombination mit einer kontinuierlicheren dopaminergen Stimulation das Risiko für Dyskinesien vermindert, bestätigte sich nicht. Im Gegenteil, Entacapon erhöht die Frequenz von Dyskinesien nach rund 2,5 Jahren und stellt deshalb einen Risikofaktor dar. Levodopa ist die Therapie der Wahl, insbesondere bei älteren Patienten. Wenn Patienten jünger sind, wird der Behandlungsbeginn mit Dopaminagonisten empfohlen, weil Wirkungsschwankungen seltener auftreten als bei Levodopa. Dopaminagonisten sind aber weniger wirksam und haben mehr Nebenwirkungen. Bei jüngeren Patienten ist besonders auf Impulskontrollstörungen wie Internet-Sucht und Hypersexualität zu achten. Bei ungenügendem Behandlungserfolg mit Dopaminagonisten sollte Levodopa hinzugegeben bzw. eine Umstellung auf diese Medikation erwogen werden [4]. Das Risiko für motorische Komplikationen kann reduziert werden, wenn versucht wird, die Levodopa-Dosis unter 400 mg zu halten [5]. Wenn früh eine Fussdystonie besteht, kann die Kontrolle mit Levodopa schwierig werden. Auch wenn nichtmotorische Probleme (namentlich Depression) dominieren, sind Dopaminagonisten gegenüber Levodopa im Vorteil.

Grundlagen der medikamentösen Strategien in fortgeschrittenem Stadium

Nach wenigen Jahren sind die meisten Patienten auf Levodopa angewiesen. Obwohl gut wirksam, sind motorische Komplikationen im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung das Hauptproblem (nach 10 Jahren bei 90% der Patienten). Die Wearing-Off-Fluktuation wird pathophysiologisch mit der Degeneration dopaminhaltiger nigrostriataler Neurone erklärt, die ihre Pufferfunktion verlieren und damit die Fähigkeit, Plasmaschwankungen von Levodopa auszugleichen. Die Wirkung von Levodopa wird von seiner Pharmakokinetik abhängig. Dyskinesien beruhen wahrscheinlich auf einer durch chronischen Dopaminmangel bedingten Supersensitivität der Dopamin-Rezeptoren. Der wichtigste Grund für motorische Komplikationen ist deshalb die Krankheits- und nicht die Behandlungsdauer. So konnte in einer vergleichenden klinischen Studie gezeigt werden, dass Wearing- Off-Fluktuationen nach durchschnittlich knapp sechs Jahren Krankheitsdauer auftraten, unabhängig davon, ob Levodopa bereits seit mehreren Jahren (italienische Kohorte) oder erst verzögert seit wenigen Monaten (Kohorte in der Subsahara-Zone) eingesetzt wurde [6]. Weitere Risikofaktoren für motorische Komplikationen sind junges Alter bei Krankheitsbeginn, tägliche Levodopa-Dosis und weibliches Geschlecht [5].
Es gibt eine Reihe von medikamentösen Strategien, um Wearing-Off-Fluktuationen und Dyskinesien zu minimieren. Ein wichtiges Instrument sind Parkinsonprotokolle, die der Patient selbst oder eine betreuende Person (z.B. geschulte Pflege) ausfüllt. Sie zeigen die zeitliche Beziehung von Medikamenten-Einnahmezeiten mit Phasen von Off-Zuständen bzw. Dyskinesien. Mit dieser Information können Einnahme- Intervalle von Levodopa bei Wearing-Off-Fluktuation gezielt verkürzt und Dyskinesien durch Dosisreduktion gemildert werden. Nebst der stärkeren Fraktionierung bieten sich Kombinationen mit COMT- und MAO-B-Hemmern an, welche die Wirkung von Levodopa verlängern. Auf die Zunahme von Dyskinesien sollte dabei geachtet werden, denn diese lassen sich nicht immer durch Dosisreduktion von Levodopa kontrollieren. Die Zugabe von Dopaminagonisten inkl. Amantadin, das auch antidyskinetisch wirkt, ist eine weitere gängige Strategie.

Neue Entwicklungen: Safinamid (Xadago®) und IPX066 (Numient ®)

Bei den Neuentwicklungen sollen hier der selektive und reversible MAO-B-Hemmer Safinamid und das L-Dopa-Retardpräparat IPX066 vorgestellt werden. Safinamid hat sowohl eine dopaminerge (MAOB- Hemmung) als auch eine nicht-dopaminerge Wirkung (Hemmung der stimulierten Glutamatfreisetzung). Letztere könnte eine antidyskinetische Wirkung haben. Safinamid führte bei mittleren bis späten Stadien der Parkinsonerkrankung in einer randomisierten kontrollierten Studie zu einer signifikanten Verlängerung der On-Zeit (ca. 1 Std.) ohne Zunahme störender Dyskinesien [7]. Die Dosierungen waren 50 und 100 mg. Aufgrund der langen Halbwertszeit (20-30 Std.) reicht die einmal tägliche Einnahme. Das Durchschnittsalter der Patienten war 60, alle standen unter Levodopa-Behandlung. Nebenwirkungen und Abbruchraten waren nicht different zu Placebo. Der primäre Endpunkt, Dyskinesien zu reduzieren, wurde zwar nicht erreicht. Eine Posthoc- Analyse zeigte aber, dass bei Patienten, die stärker betroffen sind, zumindest für die höhere Dosierung von 100 mg ein antidyskinetischer Effekt besteht. Safinamid (Xadago®) wurde Ende letzten Jahres in der Schweiz als Add-on-Therapie zu Levodopa zugelassen. Ob Safinamid auch bei älteren (>75 Jahre) und vulnerableren Patienten (z.B. mit Demenz) verträglich ist, soll in einer laufenden nicht-interventionellen Beobachtungsstudie geprüft werden.
Decarboxylase- Hemmer) die wirksamste Behandlung darstellt, sind motorische Komplikationen wegen der kurzen Halbwertszeit von 1,5 Stunden schon nach wenigen Jahren ein relevantes Problem. Die motorische Antwort wird im Verlauf kürzer und weniger vorhersehbar. In den 90er Jahren wurden Retardpräparate entwickelt (Sinemet® CR und Madopar® DR), die sich im Hinblick auf motorische Komplikationen jedoch nicht bewährten. Im Gegenteil, die Resorption und motorische Wirkung von Retardpräparaten ist noch unzuverlässiger. Retardpräparate können Dyskinesien gar begünstigen, wenn sie im Magen akkumulieren und dann (häufig nachmittags) überschiessend freigesetzt werden.
Deshalb wurde ein neues Levodopa-Präparat entwickelt, IPX066, in dessen Kapseln die rasche Komponente mit einer retardierten Wirkstofffreisetzung kombiniert ist. Die EU-Zulassung erfolgte Ende letzten Jahres unter dem Markennamen Numient®. Die Zulassung beruht auf drei Phase-III-Studien [8]. In der APEX-PD-Studie, die Parkinsonpatienten in frühem Stadium einschloss, verbesserte IPX066 gegenüber Placebo in allen Dosierungen (145, 245 und 390 mg, dreimal täglich) signifikant die ADL-Funktion (UPDRS II), die motorischen Symptome (UPDRS III) sowie die Lebensqualität (PDQ39). Bei Patienten mit fortgeschrittenem Parkinson und Wirkungsfluktuationen verlängert IPX066 die On-Zeit ohne störende Dyskinesien um durchschnittlich eine Stunde gegenüber dem Standardpräparat (ADVANCE-PD, Parallel Design) und um 1,4 Stunden gegenüber der Kombination von Levodopa und Entacapon (ASCEND-PD, Cross Over Design).

Apparate-gestützte Behandlungen bei motorischen Komplikationen

Trotz Anpassung der oralen Medikation werden motorische Komplikationen im Verlauf schwierig zu kontrollieren. Wenn eine befriedigende Einstellung nicht mehr möglich ist, sollten apparate-gestützte Behandlungen wie tiefe Hirnstimulation (THS) und Infusionsbehandlungen mit Duodopa oder Apomorphin frühzeitig evaluiert werden. Für die THS und Duodopa konnte im Vergleich zur bestmöglichen oralen Therapie eine Verbesserung der Lebensqualität nachgewiesen werden. Deshalb wird hier auf diese Therapien näher eingegangen.

Tiefe Hirnstimulation

Seit der Einführung in den 80er Jahren sind weltweit über 100000 Patienten mit THS behandelt worden. Bei der THS handelt sich um ein stereotaktisches Verfahren, bei dem Basalganglienkerne (vor allem der Nucleus subthalamicus oder Globus pallidus) durch elektrische Impulse gehemmt werden. Die eingesetzten Elektroden sind über subkutane Kabel mit Batterien verbunden, die meist in der subklavikulären Region eingesetzt werden. Das Operationsrisiko ist gering (ca. 1% für Infekte und Blutungen).
Entscheidend für den Erfolg der THS ist eine gute Patientenauswahl. Eine wichtige Voraussetzung besteht darin, dass der Patient gut auf Levodopa anspricht, was für die Wirkung der THS prädiktiv ist. So profitieren jüngere Patienten besonders gut, während Patienten mit axial-motorischen (posturale Instabilität) oder kognitiven Problemen nicht geeignet sind. In der Earlystim-Studie konnte gezeigt werden, dass eine früher durchgeführte THS (d.h. durchschnittlich nach 7,5 Jahren statt nach mehr als 10 Jahren wie in früheren Studien) nicht nur die Wirkungsfluktuationen deutlich reduziert, sondern auch die Lebensqualität gegenüber der besten oralen Therapie wesentlich um rund 25% verbessert [9]. Interessant ist zudem, dass die Patienten mit der schlechtesten Ausgangslage in Bezug auf die Lebensqualität am meisten profitieren [10]. Das Resultat der Earlystim- Studie ist auch deshalb beachtenswert, weil die medikamentöse Behandlung sich in früheren Krankheitsstadien in der Regel noch gut einstellen lässt. Bei jüngeren Patienten (<60 Jahren) wird deshalb bereits drei Jahre nach Beginn von motorischen Komplikationen die Evaluation einer THS empfohlen. Die grundsätzliche Voraussetzung für die Indikationsstellung einer THS bleibt aber, dass motorische Komplikationen mit oraler Therapie nicht befriedigend einstellbar d.h. therapierefraktär sind.

Infusionsbehandlung mit Duodopa

Wenn die Voraussetzungen für die THS ungünstig sind, stellt die Infusionsbehandlung mit Duodopa eine gute Alternative dar. Duodopa wurde in den frühen 90er Jahren in Skandinavien eingeführt. Dass die Infusionsbehandlung mit Levodopa über stabilere Plasmaspiegel zu einer Verbesserung von Wirkungsfluktuationen führt, war früh bekannt. Allerdings erforderte diese Behandlung wegen der schlechten Löslichkeit von Levodopa nicht-praktikable intravenöse Gaben von bis zu zwei Liter pro Tag.
Die entscheidende Innovation von Duodopa besteht darin, dass Levodopa in Form eines Gels 20-fach stärker konzentriert werden kann. Zudem kann es über eine PEG-Sonde kontinuierlich direkt am Ort der Resorption (proximales Jejunum) appliziert werden. In einer gut kontrollierten Studie (double dummy design) konnte bereits in einer kleinen Population von Patienten (n = 66) eine signifikante Verbesserung der motorischen Komplikationen und der Lebensqualität nachgewiesen werden [11]. Nebst der kontinuierlichen Gabe über eine Pumpe beruht die Wirkung der Infusionsbehandlung mit Duodopa auch auf der Umgehung der Magenpassage. Die unregelmässige Magenentleerung ist für Wirkungsschwankungen unter der oralen Therapie mitverantwortlich.
Duodopa ist für Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung geeignet, die älter sind und bei denen bereits gewisse kognitive Defizite und eine posturale Instabilität mit Sturzgefahr bestehen. Wie bei der THS sollte die orale Einstellung therapierefraktär sein. Periprozedural sind Komplikationen relativ häufig (z.B. Wundproblem oder Schmerzen am Stoma), aber meist passager und benigne [11]. In seltenen Fällen (ca. 2%) kann es zu einer Peritonitis kommen. Deshalb ist es wichtig, dass die Duodopa-Behandlung von einem erfahrenen interdisziplinären Team von Neurologen und Gastroenterologen durchgeführt wird. Eine häufige Nebenwirkung von Duodopa ist die Polyneuropathie. Eine kürzlich publizierte prospektive Studie, in der Nervenleitgeschwindigkeiten gemessen wurden, zeigte, dass die Inzidenz von symptomatischen Polyneuropathien in einer Beobachtungszeit von zwei Jahren fast 20% beträgt [12]. Pathophysiologisch wird aufgrund der Assoziation mit erhöhten Metaboliten (Homocystein) ein Levodopa-induzierter Vitaminmangel vermutet (Folsäure, Vitamin-B6/ B12-Mangel), weshalb diese Vitamine bestimmt werden sollten. Auch ein Monitoring mit Neurografien ist sinnvoll. Es empfiehlt sich, Folsäure und Vitamin B12 bei erniedrigten Werten zu substituieren. Ob auch eine vorbeugende Behandlung indiziert ist, ist nicht geklärt [13]. Polyneuropathien zwingen selten zu einem Abbruch der Therapie, ausser sie treten ähnlich akut auf wie beim Guillain-Barr6-Syndrom. Für den Erfolg der Duodopa-Behandlung ist zudem die interdisziplinäre Teamarbeit mit der Parkinson Nurse entscheidend. Sie instruiert die Patienten und ihre Angehörigen beim Handling der Pumpe. Auch technischen Problemen wie Sonden-Dislokationen oder -Verstopfungen wird so vorgebeugt.

Grundsätze und Ziele der Neurorehabilitation

Parkinson-Betroffene werden im Laufe der Erkrankung zunehmend mit Einschränkungen von Beweglichkeit, Gleichgewicht, Haltung, Gang und Feinmotorik konfrontiert, welche die Bewältigung des Alltags schwieriger machen. Die Störung der Alltagsaktivitäten (z.B. Ankleiden, Mahlzeit vorbereiten etc.) reduziert auch die Lebensqualität. Vor allem die axial- und feinmotorischen Probleme sprechen auf die pharmakologischen Therapien kaum an und stehen im Fokus der Neurorehabilitation [14].
Physiotherapie spielt eine wesentliche Rolle in allen Stadien der Erkrankung. Ein Hauptziel ist es, Bewegungsstrategien zu erlernen, die es den Betroffenen erlauben, den Alltag einfacher zu bewältigen. Mittels gut kontrollierter Studien konnte die Effektivität der Physiotherapie belegt werden. Dies führte auch zur Entwicklung von standardisierten Richtlinien [15]. Es ist gut möglich, dass Physiotherapie auch einen günstigen Einfluss auf den Krankheitsprozess hat. So wurde kürzlich gezeigt, dass leichte körperliche Aktivität (6 Std. pro Woche, z.B. zu Fuss zur Arbeit gehen, Haushalt etc.) das Risiko, an Parkinson zu erkranken, um mehr als 40% senken kann [16].

Amplitudentraining

Ein zentrales motorisches Problem bei Parkinson ist die gestörte Amplitudenregulation. Die Schrittlänge ist verkürzt und somit hauptverantwortlich für die Verlangsamung beim Gehen. Die Schrittkadenz an sich ist normal oder kann sogar erhöht sein. Zur Therapie wurde ein neues Konzept entwickelt, die Lee Silverman Voice Therapie BIG (LSVT BIG). Dabei handelt es sich um ein standardisiertes Amplitudentraining mit 16 Therapie-Einheiten über vier Wochen [17,18]. Gemäss neuester Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie wird die Behandlung bei Parkinson empfohlen. Bei der LSVT BIG-Therapie lernen Parkinson-Betroffene, gezielt die Bewegungsamplitude zu vergrössern (z.B. Schrittlänge) und damit die Bewegungsverlangsamung zu verbessern. Es handelt sich um eine hochdosierte Therapie, die vor allem bei Patienten in früheren Stadien der Erkrankung effektiv ist. Die genaue Dosierung der Physiotherapie muss individuell angepasst werden. In einer kürzlich publizierten, grossen, randomisiert-kontrollierten Studie wurde eine zu niedrige Dosierung untersucht (4 Einheiten über 8 Wochen), was in den frühen Phasen der Erkrankung nicht wirksam ist [19].

Übungsprogramme für zuhause

Ziel der Neurorehabilitation ist es auch, die Betroffenen und ihre Angehörigen zu beraten, wie ein aktiver Lebensstil beibehalten werden kann. Dazu gehören Übungsprogramme zuhause, die gezielt Gleichgewicht, Muskelkraft, Gelenkbeweglichkeit, aerobe Leistung (z.B. Jogging, Wandern, schnelles Gehen) und Feinmotorik fördern. Es wurde gezeigt, dass Parkinson- Betroffene ihre motorischen Leistungen deutlich steigern können, wenn sie zuhause zusätzlich zur Einzeltherapie ein tägliches Übungsprogramm durchführen. Um dieses Selbsttraining zu fördern, sind Gruppentherapien sehr geeignet (sechswöchige Blöcke mit zwei Sitzungen pro Woche), die auch Anleitungen für individuelles Heimtraining vermitteln [20]. In späteren Stadien der Erkrankung ist es wichtig, mit dem Training von aerober Leistung, Muskelkraft und Gelenksbeweglichkeit der Inaktivität vorzubeugen, die häufig mit der Angst vor Stürzen verbunden ist. Die Prävention der kardiovaskulären Morbidität, die bei Parkinson wegen der Immobilität erhöht ist, steht dabei auch im Fokus.

Cueing-Strategien zur Überwindung des Freezing

Ein zentrales Problem bei Parkinson ist die Störung automatischer Bewegungen. So muss z.B. das Gehen, das beim Gesunden automatisiert ist, von Parkinson- Betroffenen oft zielgerichtet ausgeführt werden. Eine automatische Bewegung wie Gehen verlangt also eine zusätzliche kognitive Aufmerksamkeitsleistung. Das ist im Alltag ermüdend. Wenn diese kognitive Kontrolle im Laufe der Erkrankung abnimmt, kommt es zunehmend zu sogenanntem Freezing, das sind kurzzeitige motorische Blockaden, typischerweise beim Gehen. Freezing tritt besonders dann auf, wenn der Betroffene das motorische Programm ändert (aufstehen und losgehen) oder mehrere Bewegungen gleichzeitig ausführt (gehen und auf Ansprache reagieren). Auch enge Stellen (Türe, Lift) sind häufige Auslöser. In der Neurorehabilitation werden den Betroffenen Cueing-Strategien vermittelt, die bei der Überwindung des Freezing helfen. Das Prinzip besteht darin, durch die Nutzung akustischer Reize (lautes Zählen, Metronom, Musik) (Abb. 1A), visueller Reize (Linien am Boden (Abb. 1B) oder somatosensorischer Reize (rhythmische Impulse durch Berührung) die Bewegungen zielgerichtet zu machen [14].

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Abbildung 1: Cueing-Strategie zur Überwindung von Freezing. A) Metronom; B) visuelle Linien am Boden

Physiotherapie In frühen und späten Phasen

In der Frühphase empfiehlt es sich, ambulante Physiotherapie eher blockweise (z.B. über einen Monat) und dafür intensiver durchzuführen (3- bis 4-mal wöchentlich). Dies ist mit einer Verordnung für 2 x 9 Sitzungen möglich. Innerhalb dieses Blocks lernt der Patient diverse Gleichgewichts-, Kräftigungs- und DehnungsÜbungen, das auch Strategietraining (mit oder ohne Cueing) beinhaltet. Diese Übungen kann er als Heimtraining zur Erhaltung der Alltagsfunktionen weiterführen. Bei einer Verschlechterung der Symptome, z.B. nach sechs Monaten, kann der Block ä 18 Sitzungen erneut durchgeführt werden.
In den späteren Phasen der Erkrankung steht die Prävention von Stürzen und kardiopulmonaler Morbidität häufig im Vordergrund. Daher ist eine physiotherapeutische Dauerbehandlung mit einer bis zwei Sitzungen pro Woche sinnvoll. Bei zunehmender Behinderung und Wirkungsfluktuationen werden oft stationäre Aufenthalte (2-3 Wochen) mit multidisziplinären Programmen notwendig, die gezielt auf Patienten mit Parkinson zugeschnitten sind. Ziel ist, mit einem individuell angepassten Geh- und Gleichgewichts- sowie Alltagstraining die Selbständigkeit zuhause möglichst zu erhalten oder die Pflegebedürftigkeit zu reduzieren. Der stationäre Rahmen erlaubt es bei Wirkungsfluktuationen, mit Hilfe von Bewegungsprotokollen die Medikation gezielt anzupassen.

Ergotherapie

In der Ergotherapie liegt der Fokus auf dem gezielten Wieder- und Neuerlernen diverser Alltagsaktivitäten. Dabei werden zum Beispiel feinmotorische Schwierigkeiten im Alltag analysiert und behandelt. Mittels einer standardisierten Evaluation werden spezifische Feinmotorik-Übungen instruiert, die später auch zu Hause durchgeführt werden können (Abb. 2). In der Ergotherapie wird zudem genau abgeklärt, welche Strategien nützlich sind, um den Alltag besser gestalten zu können. Dabei kommen diverse Hilfsmittel zum Einsatz wie z.B. ein Badewannen- Brett, welches das Ein- und Aussteigen aus der Badewanne erleichtert, oder ein angepasstes Besteck, um Fleisch besser schneiden zu können. Eine wichtige Rolle spielt die domizil-orientierte Ergotherapie, die eine optimale Anpassung der Massnahmen an die häusliche Situation erlaubt. Die Parkinson-Betroffenen erhalten Beratung, welche Strategien sie anwenden können, um im Alltag besser ans Ziel zu kommen, z.B. komplexe Handlungen in Einzelschritte zerlegen, Zeitdruck-Management, so genannte «Cues» (Reize) nutzen etc. In einer randomisiert kontrollierten Studie konnte gezeigt werden, dass eine einmal wöchentliche, domizil-orientierte Ergotherapie über zehn Wochen zu einer signifikanten Verbesserung der Alltagsfunktion führt [21].

Auch die Sprechtherapie ist wichtig. Nachweislich wirksam ist die LSVT LOUD-Therapie, die das Ziel hat, die Stimme mit hochdosiert intensivem Üben zu verbessern [22]. Das Sprechen wird auf verschiedenen Ebenen mittels einer Übungshierarchie bis zur freien Konversation trainiert. Im Fokus steht die Verbesserung der Verständlichkeit. Dies wird vor allem durch eine grössere Lautstärke beim Sprechen erzielt («think loud/shout»). Das Gelernte wird schrittweise in alltägliche Sprechsituationen übertragen.

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Abbildung 2: Übungen zur Feinmotorik

Neurorehabilitative Forschung

Die Entwicklung von standardisierten Tests und Therapieprogrammen für Fingergeschicklichkeit ist einer unserer Forschungsschwerpunkte. In einer kürzlich abgeschlossenen, randomisiert-kontrollierten Studie konnten wir zeigen, dass ein standardisiertes Geschicklichkeitstraining, das über vier Wochen zuhause durchgeführt wird, die feinmotorischen Fähigkeiten alltagsrelevant verbessert [23]. Einen nachhaltigen Effekt der Intervention über zwölf Wochen (Therapiepause) gab es allerdings nicht. Dies bedeutet, dass Parkinson- Betroffene aufgefordert werden sollten, auch nach Abschluss des intensiven vierwöchigen Therapieblocks die Übungen weiterzuführen.
Der Einsatz von Kommunikationstechniken wie Tablets oder tragbaren Sensoren wird eine zunehmend grössere Rolle spielen. Betroffene können mittels webbasierten Applikationen (Apps) diverse motorische und/oder auch kognitive Aufgaben lösen. Der betreuende Therapeut kann online ein Feedback geben und die Aufgaben progressiv im Schwierigkeitsgrad anpassen. Im unserem Parkinsonzentrum prüfen wir derzeit die Benutzerfreundlichkeit eines Geschicklichkeits- Apps (Abb. 3). Eine weitere Anwendung technischer Hilfsmittel könnten Sensoren sein, die an den Fussgelenken getragen werden. Diese Sensoren könnten Freezing-Episoden frühzeitig erkennen und dann ein Cue (akustisch, sensorisch) auslösen, damit der Patient das Freezing überwinden kann. Die Patienten würden unabhängiger und wären weniger auf die Hilfe einer dritten Person angewiesen.
Der Einsatz von nicht-invasiver Hirnstimulation (repetitive transkranielle Magnetstimulation, rTMS), könnte eine weitere Therapieoption der Zukunft sein. Eine kürzlich publizierte Metaanalyse zeigte, dass rTMS einen positiven Effekt auf die Bradykinese hat [24]. In unserem Parkinsonzentrum untersuchen wir, ob die Methode auch zur Behandlung von feinmotorischen Defiziten wirksam ist.

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Abbildung 3: Geschicklichkeits-App für Parkinson-Betroffene

Ratgeber: Prof. Dr. med. Stephan Bohlhalter und PD Dr. phil. Tim Vanbellingen
Quelle: Info Neurologie&Psychiatrie vom 30.09.2016

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