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Seelsorge am Krankenbett

Zenit - Besuchsverbot. Hygienevorschriften. Distanzregeln. Das Coronavirus hat den Alltag von Spitalseelsorgerin Nana Amstad-Paul verändert. In der Krise wurde aber umso deutlicher: Bei einem Spitalaufenthalt bedarf nicht nur der Körper der Pflege, sondern auch die Seele.
30. Juni 2020
Lesezeit: 5 Minuten
arfa

Auf dem Pult von Spitalseelsorgerin Nana Amstad-Paul stapeln sich Akten. Was nicht dringend war, musste warten. Wochenlang galt im Luzerner Kantonsspital LUKS ein Besuchsverbot. Erst Mitte Mai wurden die Vorschriften gelockert. Viele Hospitalisierte waren deshalb besonders dankbar, wenn jemand von der Spitalseelsorge an ihre Zimmertür klopfte.

Doch was genau will eine Theologin am Bett der Patientinnen und Patienten? «Ich will nichts», sagt Nana Amstad. «Ich mache ein Angebot.» Gemäss ihrem Auftrag der aufsuchenden Seelsorge biete sie Menschen jeden Glaubens ihre Zeit an. Zeit, um über Gott und die Welt zu reden. Zeit, um Gedanken, Sorgen oder Ängste mit jemandem zu teilen. Zeit, um einen spirituellen Moment wie ein Gebet oder einen Segen zu erfahren. Seit 18 Jahren arbeitet Nana Amstad als Spitalseelsorgerin. Die 63- Jährige hat viele schwere Momente und Krisensituationen erlebt. Doch die Coronapandemie ist anders. «Die Ungewissheit machte den Unterschied», sagt sie. Werden wir in Schweizer Spitälern bald Situationen wie in Italien erleben? Was, wenn wegen Platzmangel nicht mehr alle Patientinnen und Patienten behandelt werden könnten? Fragen wie diese gingen Nana Amstad durch den Kopf, als Ende Februar die erste Schweizer Covid-19-Erkrankung diagnostiziert wurde und die Fallzahlen im Tessin jäh nach oben schnellten.

Arbeit und Gebet

Der Pandemiestab des LUKS, zu welchem Nana Amstad als Leiterin der Seelsorge und des Care-Teams bei Bedarf zugezogen wird, arbeitete damals bereits unter Hochdruck. Und auch das Seelsorgeteam bereitete sich auf das Schlimmste vor. Mitarbeitende verschoben ihre Ferien, externe Seelsorgerinnen und Seelsorger wurden vorsorglich um Unterstützung angefragt. Nana Amstad hat in dieser unsicheren Zeit viel gearbeitet. Und viel gebetet: «Ich bat um Kraft und Vertrauen. Ich betete für die erkrankten Menschen und deren Angehörige, aber auch für die Mitarbeitenden, damit sie gemeinsam durchhalten würden.»

Anfang März war das Luzerner Kantonsspital mit den ersten Coronafällen konfrontiert. Dies hat die Arbeit der Seelsorge nicht grundlegend verändert. Dennoch ist seither vieles anders. Statt nahe bei den Betroffenen am Spitalbett zu sitzen, gilt für Gespräche die Zwei-Meter-Abstandsregel. Weisser Spitalkittel und Mundschutz gehören nun zur Arbeitskleidung. Trotzdem wurden die Besuche mehr denn je geschätzt. «Sie schickt der Himmel», war die Begrüssung einer Patientin, als Nana Amstad eines Morgens an deren Zimmertür klopfte. Die spontane Reaktion zeige, dass Spitalseelsorge kein Relikt vergangener Zeiten sei. «Im Spital ist immer der ganze Mensch, mit Körper und Seele, anwesend. Das lässt sich nicht trennen, und beides bedarf der Pflege.»

Unter der Einhaltung strengster Hygienevorschriften besuchte das Seelsorgeteam auch Corona-Patientinnen und -Patienten auf der Intensiv- oder Isolierstation. Manche waren intubiert und nicht bei Bewusstsein. Ist Seelsorge unter diesen Umständen überhaupt möglich? «Ja natürlich. In solchen Momenten verweilen wir nahe am Bett, in Stille und in Gedanken fest verbunden mit diesem Menschen und seinen Angehörigen.»

Wenn Nana Amstad Patientinnen und Patienten besucht, trifft sie auch schwere Situationen an - und dies unabhängig von Corona. Das «Mit-Aushalten» sei das Anspruchsvollste an ihrem Job. Aushalten, dass ein Unfall das ganze Leben eines Menschen auf den Kopf stellt. Aushalten, dass eine Schwangerschaft nicht zu Ende getragen werden kann. Aushalten, dass eine Krebserkrankung nicht mehr heilbar ist. Kürzlich begleitete die Seelsorgerin eine 80-jährige Covid-Patientin. Trotz aller Therapien war es nicht möglich, sie zu retten. Nana Amstad wurde gerufen, um der Patientin den Krankensegen zu erteilen. «Stellvertretend für die Angehörigen stand ich ihr bei, während die Geschäftigkeit auf der Intensivstation weiterging. Das Leben steht nicht einfach still, wenn jemand stirbt. Und doch war es schmerzlich, zu sehen, dass ein Leben unter diesen Umständen zu Ende gehen muss.»

Loslassen können

In vielen anderen Fällen ermöglichte das LUKS den Angehörigen trotz Besuchsverbot einen kurzen Moment bei schwer Erkrankten. «Man kann den Menschen nochmals mit allen Sinnen wahrnehmen. Das hilft, den Tod zu begreifen.» Nana Amstad ermutigt die Angehörigen in solchen Momenten, einer sterbenden Person mitzuteilen, was sie ihr noch sagen möchten - selbst wenn dieser Mensch nicht reagiert. «Er nimmt die Worte vielleicht nicht mehr so wahr wie wir und kann nicht mehr antworten. Trotzdem bin ich überzeugt, dass er etwas mitnimmt.» Auch für die Angehörigen könne es sehr lösend sein, der sterbenden Person noch etwas mitteilen zu können.

Nana Amstad ist nicht nur Theologin, sondern auch Atemtherapeutin. Atem sei etwas sehr Spirituelles, sagt sie. «Der Atem verbindet das Aussen mit dem Innen.» Doch ist es nicht Gott, der den Corona-Patienten den Atem nimmt und sie mit schweren Lungenentzündungen kämpfen lässt? «Das ist nicht mein Gottesbild», sagt Nana Amstad. «Es ist nicht Gott, der den Atem nimmt. Der Atem geht zu Ende, weil die Kraft nicht mehr da ist.» Irgendwann gehe jedes Leben zu Ende. Ob durch einen Unfall, weil eine Erkrankung die Lebenskraft nehme oder weil ein Herz mit 90 Jahren einfach müde sei. «Ich bin jedoch davon überzeugt, dass Gott mitgeht und mitträgt in seiner Liebe und Sorge für jeden Menschen.»

Nach den ersten, sorgenvollen Wochen der Coronapandemie hat sich die Situation im LUKS entspannt. Auch bei der Seelsorgerin und ihrem Team ist ein Aufatmen spürbar - obwohl sich der Spitalalltag noch nicht normalisiert hat und die Sorge einer zweiten Ansteckungswelle belastet. Doch Spitalbesuche sind wieder möglich und die Dienstleistungen der Seelsorge damit vielleicht etwas weniger gefragt. Nana Amstad nimmt das nicht persönlich. «Wie gesagt, ich mache ein Angebot und bringe jene Zeit mit, die gerade nötig ist. Manchmal fünf Minuten, manchmal zwei Stunden, und manchmal braucht es uns gar nicht.» Auch das sei gut so.

Quelle: Zenit vom 30.06.2020

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