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Sie sagen resistenten Keimen den Kampf an

Luzerner Zeitung: Immer mehr Bakterien sind resistent gegen Antibiotika. Das stellt auch das Luzerner Kantonsspital vor Herausforderungen. Darum wertet jetzt ein Team der Infektiologie die Krankenakten aller Patienten aus.
30. Oktober 2017
Lesezeit: 6 Minuten
Beat Sonderegger bespricht mit Daniela Melo die Antibiotikabehandlung eines Patienten. Bild: Pius Amrein (Luzern, 23. Oktober 2017)

Bild: Beat Sonderegger bespricht mit Daniela Melo die Antibiotikabehandlung eines Patienten. Bild: Pius Amrein (Luzern, 23. Oktober 2017)

Zwischen zwei und drei Mikrometer messen sie, von blossem Auge unsichtbar. Obwohl so winzig klein, können sie grossen Schaden anrichten, wenn sie sich erstmals in unserem Körper eingenistet haben. Sie können dann etwa eine Lungen-, Mandel- oder Hirnhautentzündung auslösen, um nur ein paar Infektionen zu nennen. Die kleinen Übeltäter heissen Bakterien und weisen die Form von Stäbchen oder Punkten auf. Haben sie sich in unserem Körper breitgemacht und vermehrt, werden die Keime oft mit Antibiotika bekämpft. Mit diesem Medikament werden die Bakterien getötet. Das gilt jedoch nicht für Viren, welche ebenso Infekte wie etwa das Pfeiffersche Drüsenfieber hervorrufen können. Wenige Tage nach einer bakteriellen Infektion wie etwa einer Nierenbeckenentzündung ist der Patient, der mit Antibiotika behandelt wird, in der Regel wieder wohlauf.

mit Antibiotika weniger gut sein. Grund dafür sind die immer häufiger auftretenden Resistenzen gegen diese Medikamente (Ausgabe vom Donnerstag). Was einst als Wundermittel galt und aus der Medizin nicht mehr wegzudenken ist, verliert also nach und nach seine Wirkung. Zahlen, wie viele Menschen in der Schweiz von Antibiotikaresistenzen betroffen sind, gibt es nicht. Fest steht nur: Bei immer mehr Menschen mit bakteriellem Infekt wirken Antibiotika nicht mehr oder nur noch bedingt, weil die Keime gegen das Medikament resistent sind.

Konkrete Zahlen gibt es aber zum Verbrauch von Antibiotika in Schweizer Spitälern: Zwischen 2004 und 2015 hat dieser um 36 Prozent zugenommen. Dies schreibt das Bundesamt für Gesundheit in einem Bericht von 2016.

Team will Bewusstsein der Resistenzen fördern

Ganz so überraschend kommt diese Entwicklung nicht. Schon der Erfinder des Penicillins – des ersten Antibiotikums – hat davor gewarnt. Kurz nach der Nobelpreisübergabe für seine Erfindung im Jahr 1945 liess der schottische Arzt und Bakteriologe Alexander Fleming sich zitieren: «Gedankenlose Personen, die mit Penicillin-Behandlungen spielen, sind verantwortlich für jene Menschen, die aufgrund von Antibiotikaresistenzen sterben.» Fleming sollte Recht behalten.

Dass das Bewusstsein um Antibiotikaresistenzen weiter gefördert werden muss, weiss man auch am Luzerner Kantonsspital (Luks). Seit 2013 besteht am Luks ein Programm, welches das Ziel verfolgt, jegliche Antibiotika so sorgfältig wie nur möglich einzusetzen. Und seit diesem Jahr wird erstmals eine Untersuchung an allen Standorten (Luzern, Sursee, Wolhusen) und auf allen Stationen durchgeführt, um den sachgerechten Umgang mit Antibiotika noch genauer zu untersuchen und das Bewusstsein für Resistenzen weiter zu schärfen.

Federführend in diesem Projekt ist der Infektiologe Beat Sonderegger (41). Er und das Team der Infektiologie analysieren die Krankenakten aller Patienten und setzen den Fokus dabei auf diejenigen Patienten, welche mit Antibiotika therapiert werden. Ziel ist es, Antibiotika nur «so viel wie wirklich nötig und so wenig wie möglich» einzusetzen. Dies stelle eine Herausforderung dar, sagt der Arzt. Ein Beispiel: «Wird ein Patient etwa mit Fieber ins Spital eingewiesen, muss vorerst geklärt werden, ob seinem Infekt ein bakterieller oder viraler Erreger zu Grunde liegt.» Würde es sich um einen viralen Infekt handeln, wäre keine Antibiotikatherapie nötig, bei einem bakteriellen Infekt schon. Das tönt theoretisch einfach, ist es in der Praxis aber nicht. Trotz hoch entwickelter medizinischer Geräte dauert es etwa 24 Stunden, bis der Erreger beim Namen genannt werden kann. «Ist ein Patient schwer krank, können wir mit einer Behandlung nicht zuwarten. Demzufolge wird in einem solchen Fall ein Antibiotikum verschrieben, bevor der Erreger durch Laboranalysen eruiert ist.» So kann es also vorkommen, dass ein Patient unter Umständen Antibiotika erhält, obwohl er an einer Virusinfektion erkrankt ist. Würde die Laboranalyse den viralen Infekt bestätigen, müsse die Antibiotikatherapie sofort gestoppt werden, betont der Infektiologe.

Internationale Studien zeigen, dass mitunter aus obengenanntem Grund rund ein Drittel der Antibiotikatherapien nicht angezeigt wären. Gemäss Sonderegger gibt es diesbezüglich auch am Luzerner Kantonsspital Verbesserungsbedarf. «Die nun laufende Untersuchung wird helfen, die Verschreibungsqualität von Antibiotika in unserem Haus zu verbessern », ist der Mediziner überzeugt.

Wie Bakterien Antibiotika-Resistenzen entwickeln
Wie Bakterien Antibiotika-Resistenzen entwickeln

«Kitzelt man das Antibiotikum, beginnt es sich zu wehren»

Doch grundsätzlich geht es nicht um Zahlen und auch nicht darum, dass der Infektiologe seine Berufskollegen schelten will. «Uns liegt der bewusste Einsatz von Antibiotika am Herzen, weil wir vermeiden wollen, dass wir mehr und mehr gegen resistente Keime kämpfen müssen. Es ist unsere Aufgabe und Verantwortung, unseren Patienten gegenüber sicherzustellen, dass wir die Wirkung der Antibiotika nicht durch unreflektiertes Handeln verlieren.» Fakt ist nämlich: Je mehr Antibiotika eingesetzt werden – sei es in der Human- oder der Veterinärmedizin –, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für Resistenzen. Beat Sonderegger formuliert es so: «Kitzelt man das Bakterium immer wieder mit Antibiotika, dann beginnt es sich zu wehren.»

Und Resistenzen können verheerende Folgen haben: «Im schlimmsten Fall stirbt ein Patient an einer im Grunde genommen einfachen Infektion, weil seine Bakterien das Antibiotikum überlisten können.» Das sei zum Glück in der Schweiz im Moment «eine absolute Ausnahme ». Wenige Kilometer von hier sieht es indes ganz anders aus: In Italien ist die Zahl der Resistenzen beispielsweise deutlich höher. Dort ist etwa über die Hälfte des Darmbakteriums Klebsielle pneumoniae resistent gegen die bei uns gebräuchlichen Antibiotika. Zum Vergleich: In der Schweiz sind es weniger als 10Prozent. Das geht aus der Statistik einer europäischen Studie hervor. Ähnlich sieht es in Spanien, Frankreich und Griechenland aus. Die Schweiz ist in dieser Statistik nicht aufgeführt.

Weniger Medikamente, weniger Resistenzen

So prekär die Situation nun scheinen mag – Beat Sonderegger beruhigt: «Die Situation in der Schweiz ist nicht annähernd so arg wie etwa in Italien oder Griechenland. » Er kennt auch die Gründe dafür: «Primär sind Resistenzen auf übermässigen und manchmal unsachgemässen Antibiotikaverbrauch zurückzuführen.» So würde in anderen Ländern schneller zu Antibiotika gegriffen. Weiter würden Mängel in der Spitalhygiene die Verbreitung resistenter Bakterien fördern.

Trotz guten Bedingungen in der Schweiz sagt Sonderegger: «Wir wollen und können uns verbessern. Die nicht krankmachenden, nützlichen Bakterien sollen nicht unnötig zerstört werden.» Dennoch: Es gibt Krankheitsbilder, die eine Antibiotikabehandlung unabdingbar machen. Sonderegger warnt: «Wenn Patienten aus Angst vor Resistenzen oder Nebenwirkungen keine Antibiotika wünschen, obwohl dies notwendig wäre, ist das falsch und gefährlich.»

Nächsten Sommer will das Untersuchungsteam alle Abteilungen des Kantonsspitals und dessen Standorte visitiert haben. Neben der Rückmeldung an die Abteilungsärzte werden die Qualitätsindikatoren den Klinikleitungen präsentiert. Spätestens in einem Jahr erfolgt die Verlaufsbeurteilung. Sonderegger: «Wir wollen sicherstellen, dass unsere Bemühungen auch langfristig zu einer Qualitätsverbesserung im Umgang mit Antibiotika führen.»

Hinweis

Zwischen dem 13. und dem 19. November rufen Organisationen wie die WHO dazu auf, das Bewusstsein für Antibiotikaresistenz zu stärken. Die Schweiz schliesst sich diesem Projekt erstmals an.

Autor: Yasmin Kunz yasmin.kunz@luzernerzeitung.ch

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