«Bei der Digitalisierung müssen wir die Patientenbedürfnisse berücksichtigen»
Was bedeutet für Sie die digitale Transformation im Spitalbereich?
Ich erachte sie als absolute Notwendigkeit. Ich glaube, dass wir in der Schweiz rasant auf einen massiven Versorgungsnotstand zusteuern. Wir behandeln immer mehr ältere Menschen und gleichzeitig stehen unserer Industrie immer weniger Arbeitskräfte zur Verfügung. Dieser Entwicklung können wir nur begegnen, indem wir mit der digitalen Transformation sowohl die Systemführung als auch das Performance- oder Kapazitäten-Management verbessern.
Bitte führen Sie diese Zusammenhänge etwas aus.
Als Spital stehen wir unter einem erheblichen Produktionsdruck. Um diesem Druck zu begegnen, müssen wir unseren Betriebsplan und unsere gesamte Effizienz verbessern. Das erfordert eine Menge an maschinenbasierten, verlässlichen Daten, wie beispielsweise eine präoperative Aussage über die Verweildauer, die Wirkkraft von Massnahmen im Verlauf darstellen, den Deckungsbeitrag einer OP ausweisen, die Bettenbelegung minutenaktuell anzeigen und viele Parameter mehr. Man hört oft, die Auslastung eines Spitals sei nicht planbar. Das sehe ich anders. Im LUKS können wir 70 Prozent aller Fälle ordentlich planen. Der Variabilität in der Planung begegnen wir mit Flexibilität und Standardisierung. Mithilfe der Daten und den daraus abgeleiteten Mustern automatisieren wir Prozesse und planen unser Spital strategisch, taktisch und operativ noch besser. Zudem erschliessen wir uns mit der Digitalisierung neue Behandlungsmodelle. Und schliesslich bieten wir mit unserem Klinikinformationssystem eine umfassende Informationsgrundlage für noch bessere medizinische Entscheidungen, da unsere Ärztinnen und Ärzte auf digital hinterlegte Behandlungspfade zugreifen können.
Apropos Klinikinformationssystem: Sie haben das von Epic entwickelte Klinikinformationssystem LUKiS eingeführt. Was haben Sie sich als medizinischer Leiter von LUKiS erwartet?
Mehr Transparenz und – in der Folge – mehr Effizienz. Wir wollten die Abrechnung verbessern, eine schärfere Kostenrechnung ermöglichen, das Performance- und Kapazitäten- Management optimieren und das Controlling verfeinern. Mit der Einführung von LUKiS wollten wir verstehen, wie wir unsere Ressourcen und Kapazitäten besser nutzen können. Während der Pandemie wussten wir sekundengenau, wie viele Covid-Patientinnen und -Patienten im Haus sind und wie viele freie Kapazitäten wir noch hatten. Zudem konnten wir durch die Standardisierung das Personal flexibel einsetzen und so die ständig wechselnden Bedürfnisse abdecken. LUKiS wird auch von den Pflegenden geschätzt, weil sie damit ihre Zusammenarbeit besser planen können.
Wer sollte aus Ihrer Sicht die digitale Transformation im Spital vorantreiben?
Die digitale Transformation ist kein reines IT-Vorhaben, sondern eine Organisationsentwicklung und damit ein Change-Projekt. Dabei muss das Top-Management auf dem Spielfeld stehen, nicht in der Trainerzone. Bei uns waren der Chief Information Officer (CIO), der Nursing Director und ich als CMO von Beginn an die Hauptexponenten. Wir haben alle drei einen medizinischen Hintergrund.
LUKiS funktioniert. Was kommt als Nächstes?
Wir versuchen nun in diversen Bereichen zu robotisieren. Zudem wollen wir analog-digitale Patientenpfade implementieren. Wir möchten die menschlichen Prozessbeteiligten weiter entlasten und gleichzeitig die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung sicherstellen. Hier haben wir Gesundheitsakteure noch einen langen Weg vor uns.
Inwiefern?
Die Schweiz überaltert zunehmend, während immer mehr Arbeitskräfte aus dem Arbeitsleben austreten. Die Versorgungssicherheit gilt als eines unserer grössten Zukunftsprobleme. In manchen Spitälern sind 20 bis 25 Prozent der Betten nicht belegbar. Das elektive Geschäft schrumpft. Vielen öffentlichen und privaten Spitälern geht es finanziell schlecht. Diese Entwicklung verfolge ich mit grosser Sorge.
Wie beschreiben Sie als CMO die Vision für ein digitales Schweizer Gesundheitssystem?
Die Schweiz braucht einen Paradigmenwechsel. Wir müssen nicht die Kosten senken, sondern die Effizienz erhöhen. Innovationen sollten aus Sicht der Patientinnen und Patienten entwickelt werden, nicht aus Sicht der Technologie, wie das beim elektronischen Patientendossier (EPD) der Fall war. Deshalb halte ich das EPD für eine Totgeburt. Eine zu behandelnde Person möchte mit Recht den Überblick über sämtliche ihre Gesundheitsakten behalten und unkompliziert darauf zugreifen. Nur so kann sie eine Zweitmeinung einholen, den Arzt wechseln, einen Impfausweis für eine Auslandsreise editieren oder bei der Wahl des besten Behandlungspfades mitentscheiden. Dazu müssen die Informationssysteme von Kliniken, Praxen und Pflegeheimen über eine neutrale Drehscheibe für medizinische Daten interagieren. Der Gesetzgeber sollte also als Erstes die Anforderungen für eine solche Datenplattform legiferieren und die Interoperabilität der Systeme im Gesundheitswesen sicherstellen.
Hinweis: Dieses Interview ist in der Studie «Schweizer Spitäler: So gesund waren die Finanzen 2022» der PWC erschienen. Die Studie kann hier heruntergeladen werden.