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«Ambulant vor stationär» im Kanton Luzern erfolgreich umgesetzt

Swiss Knife - Als erster Schweizer Kanton führte Luzern am 1. Juli 2017 eine Liste mit Eingriffen ein, die er nur noch dann mitfinanziert, wenn die stationäre Durchführung medizinisch begründet ist. Sechs Monate nach der Einführung der Liste konnte Luzern bereits 1,5 Millionen Franken Kosteneinsparungen verzeichnen - ohne Abstriche bei Qualität und Sicherheit der medizinischen Versorgung.
29. September 2018
Lesezeit: 6 Minuten
Spitalzentrum LUKS Luzern

Warum ambulant vor stationär?

Der medizinische Fortschritt entwickelt sich ungeheuer rasant. Das ist im Grunde genommen positiv: Dank diesem Fortschritt werden wir immer älter, und wir bleiben immer länger gesund. Es gibt aber auch eine Kehrseite: Die Gesundheitskosten sind enorm angestiegen und werden aufgrund des anhaltenden medizinischen Fortschritts weiter ansteigen. Die Bevölkerung ist immer weniger bereit, dieses Kostenwachstum mitzutragen, und der Druck auf die Politik steigt, das Kostenwachstum einzudämmen. Wir haben «ambulant vor stationär» eingeführt, weil mit dieser Massnahme dort gespart werden kann, wo es am wenigsten - oder eigentlich gar nicht - wehtut. Denn dass wir sparen müssen, ist unbestritten.

Nun gibt es medizinische Leistungen, die ambulant und stationär in vergleichbarer Qualität erbracht werden können, jedoch nicht zu vergleichbarem Preis. Anhand von 13 ausgewählten Eingriffen hat das Beratungsunternehmen PricewaterhouseCoopers (PWC) berechnet, dass stationär erbrachte Spitalbehandlungen im Durchschnitt 2,3 Mal teurer sind als ambulante.

Zahlreiche Beispiele veranschaulichen dies. Gemäss der Einkaufsgemeinschaft HSK kostet eine ambulante Arthroskopie des Knies im Schnitt 2'350 Fr. und ist damit nicht einmal halb so teuer wie eine stationäre Behandlung, welche die Grundversicherung total 5'250 Fr. kostet. Bei Zusatzversicherten ist der Preisunterschied zwischen ambulanten und stationären Behandlungen besonders gross. So verteuert sich die stationäre Arthroskopie des Knies mit einer Zusatzversicherung um 7'200 Fr. (halbprivat) respektive 9'890 Fr. (privat). Damit ist bei Letzterer die Vergütung gegenüber der ambulanten Behandlung fast sechsmal höher! Bei Krampfadernoperationen ist es sogar siebenmal mehr (19'100 Fr. statt 2'600 Fr.).

Für die Spitäler ist dies ein Anreiz, Zusatzversicherte vermehrt stationär zu behandeln, obwohl es medizinisch nicht notwendig wäre. Daran wird auch die diskutierte einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Behandlungen in der Grundversicherung nichts ändern. Es braucht deshalb «ambulant vor stationär» als Korrektiv - auch zum Wohle der Patientinnen und Patienten. Diese Korrektur ist kein Eingriff in die ärztliche Therapiewahlfreiheit. Denn diese beschränkt sich auf notwendige Behandlungen und nicht auf unnötige Behandlungen zur Ertragsoptimierung. Wie stark die Vergütung - und eben nicht die medizinische Indikation - die Therapiewahl beeinflusst, zeigt sich in nachfolgender Grafik: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Arthroskopie des Knies stationär durchgeführt wird, ist bei Zusatzversicherten bis zu 13-mal höher als bei Allgemeinversicherten. Bei den Allgemeinversicherten ist sie in allen Altersklassen konstant deutlich unter 5%. 

Um diesen Fehlanreizen entgegenzuwirken, bezeichnete Luzern als er- ster Kanton eine Liste von Eingriffen und Behandlungen, die seit Juli 2017 nur noch dann vom Kanton als stationäre Behandlungskosten mitfinanziert werden, wenn sie aus medizinischen Gründen nicht ambulant durchgeführt werden konnten. Zudem müssen die Spitäler neu auch Spitaleintritte medizinisch begründen, wenn sie bereits am Vortag einer Behandlung erfolgen. Der Kanton Luzern rechnet aufgrund dieser Massnahme mit rund 3 Mio. Fr. Einsparungen jährlich. 

Erfolgreiche Halbjahresbilanz

Die Auswertung der ersten sechs Monate (1.7.2017.-31.12.2017) zeigt, dass die Massnahme «ambulant vor stationär» ein Erfolg ist: Die Zahl der stationären Behandlungen ging bei den definierten Eingriffen um 26 Prozent zurück. Der Kanton Luzern sparte innerhalb von sechs Monaten 1,5 Millionen Franken bei gleicher Qualität und Sicherheit der medizinischen Versorgung.

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Der Administrativaufwand für den Kanton ist insgesamt geringer ausgefallen als ursprünglich erwartet. Unter dem Strich hat der Kanton für jeden Franken, den er für Kontrollen aufgewendet hat, rund 18 Franken gespart. Durch den elektronischen Austausch konnte auch der administrative Aufwand in den Spitälern minimiert werden.

Keine Kostenverschiebung auf Prämienzahler

Wir haben auch die Auswirkungen auf die Prämien berechnet und hier zeigten die ersten Berechnungen, dass die Krankenversicherer durch ambulant vor stationär nicht mehr belastet werden. Neben Luzern haben auch das Bundesamt für Gesundheit, die Gesundheitsdirektion Zürich wie auch die Beratungsfirma PricewaterhouseCoopers die Auswirkungen auf die Prämien berechnet. Sie alle kommen zum selben Schluss: Für die Prämien ist es in der Summe aller Eingriffe egal, ob die Behandlung ambulant oder stationär erfolgt. Für die Krankenversicherer sind die Kosten für ambulante und stationäre Behandlungen in der Grundversicherung etwa gleich gross. Und dies, obwohl sie bei den ambulanten Behandlungen 100% und bei den stationären Behandlungen nur 45% der Kosten übernehmen müssen. Der Grund liegt darin, dass stationäre Behandlungen bei diesen einfachen Eingriffen im Schnitt gut doppelt so hohe Kosten verursachen wie ambulante. Allerdings haben die Berechnungen auch gezeigt, dass zum Teil massive Fehler bei der Tarifierung bestehen. So werden heute die ambulante PTCA und PTA gut 20% höher (!) vergütet als der gleiche Eingriff, wenn er stationär vorgenommen wird! Diese Eingriffe dürfen deshalb bei einem Vergleich nicht berücksichtigt werden.

So steht fest: Damit die Gesundheitskosten nicht unnötig steigen, ist es für die Prämien- und Steuerzahler von grossem Interesse, dass Behandlungen, die in der gleichen medizinischen Qualität ambulant durchgeführt werden können, nicht stationär erfolgen und damit unnötig Kosten generieren. Zudem werden mit einer ambulanten Behandlung die mit einem stationären Spitalaufenthalt assoziierten Risiken reduziert wie beispielsweise nosokomiale Infekte.

Umsetzung ambulant vor stationär im Kanton Luzern

Wir haben ambulant vor stationär kantonal gelöst, da es bisher noch keine nationale Regelung gibt. In der Zwischenzeit sind viele Kantone unserem Beispiel gefolgt. Wir haben unsere Liste mit dem Kanton Zürich koordiniert, und dieser Liste haben sich weitere Kantone angeschlossen. Ab dem 1. Januar 2019 tritt eine nationale Lösung in Kraft: Sechs Gruppen von operativen Eingriffen werden nur noch bei ambulanter Durchführung vergütet. Die Liste des Kantons Luzern umfasst alle Eingriffe, die auch der Bund vorsieht, bleibt jedoch umfassender.

Unsere Liste überprüfen wir periodisch und passen sie bei Bedarf an. Wichtig ist aber, dass sämtliche diese Eingriffe bereits vor Einführung der Massnahme häufig ambulant durchgeführt wurden, wir führten also nichts Neues ein! Und ob ein Eingriff aus medizinischen Gründen dennoch stationär erfolgen muss, entscheidet weiterhin der behandelnde Arzt. Der Entscheid wird durch die Rechnungskontrolle des Kantons jedoch kontrolliert.

Dabei spielt es keine Rolle, ob die Behandlung in einem Luzerner Spital oder in einem ausserkantonalen Spital stattfindet. Wir empfehlen den Leistungserbringern, bei Unsicherheiten eine vorgängige Kostengutsprache einzuholen. Dazu kann der für ausserkantonale Hospitalisationen etablierte Prozess der Kostengutsprachen verwendet werden. Es wird also auch hier nichts Neues eingeführt.

Die Befürchtungen, dass der administrative Aufwand steigen könnte, sind nicht eingetreten. Seit Einführung der Massnahme ist die Anzahl der Gesuche sogar gesunken! Und es musste bisher auch keine einzige Verfügung ausgestellt werden, und es kam zu keinen Prozessen. Ausserdem können die Ärzte jederzeit auch Berichte etc. einreichen, es muss also nicht jedes Mal etwas Neues geschrieben werden. Sämtliche Unterlagen werden durch die Ärzte der Dienststelle Gesundheit und Sport beurteilt. Im jährlichen Leistungscontrolling plausibilisieren wir schliesslich nochmals alle Fälle anhand der medizinischen Statistik, wovon die Spitäler aber nur bei Rückfragen Notiz nehmen.

Die Umsetzung der Massnahme wird von einer breit abgestützten Gruppe begleitet, welcher Vertreter der kantonalen Ärztegesellschaft, der Spitäler mit Standort im Kanton, der Spitex und Patientenschutzorganisationen angehören. Zusammen mit dieser Begleitgruppe wurden medizinische und soziale Kriterien zur stationären Durchführung definiert und administrative Vereinfachungen umgesetzt. Auch sind wir nach wie vor im Gespräch mit den Versicherern. Es soll vermieden werden, dass Versicherer und Kanton zu unterschiedlichen Einschätzungen gelangen. Gemeinsam mit anderen Kantonen setzen wir uns für eine national einheitliche Umsetzung ein.

Fazit

Die Vermeidung von unnötigen stationären Behandlungen ist eine zentrale Herausforderung zur Erhaltung eines qualitativ hochstehenden und bezahlbaren Gesundheitswesens. «Ambulant vor stationär» ist eine sinnvolle und notwendige Massnahme, die schlank und effizient umgesetzt werden kann. Wir konnten in Luzern zeigen, dass es möglich ist, ohne Qualitätseinbusse wesentliche Kosten einzusparen. Ich bin deshalb überzeugt, dass wir diesen Weg - den Weg hin zu einer Medizin mit Augenmass - weitergehen müssen, um schmerzhafte staatliche Tarifeingriffe oder Rationierungsmassnahmen zu verhindern.

Quelle: Swiss Knife vom 29.09.2018

Autor: Regierungsrat Guido Graf, Vorsteher des Gesundheits- und Sozialdepartements des Kantons Luzern, 

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