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«Das Risiko sich im Spital anzustecken, ist extrem niedrig.»

Aus Angst, sich mit dem Coronavirus zu infizieren, vermeiden Menschen selbst bei lebensbedrohlichen Erkrankungen den Gang ist Spital. Die Sorge sei gänzlich unbegründet, im Luzerner Kantonsspital habe es keine derartigen Infektionen gegeben, sagt der Leiter des Pandemiestabs und Chefarzt für Innere Medizin, Professor Christoph Henzen.
13. Juli 2020
Lesezeit: 4 Minuten
Prof

Prof. Dr. med. Christoph Henzen, Leiter des Pandemiestabs und Chefarzt für Innere Medizin, Luzerner Kantonsspital

Vor welche Herausforderungen hat die Corona-Pandemie das LUKS gestellt?

Prof. Henzen: Die grösste Herausforderung war, sich auf Patienten vorzubereiten, die mit dem Corona-Virus infiziert sind und Spitalpflege benötigen. Wir haben die Zahlen aus Oberitalien und dem Elsass simuliert und mussten dann innerhalb kurzer Zeit etwa 300 Isolationsbetten schaffen und unsere Intensivpflegeplätze verdreifachen.

Wie viele dieser Betten haben Sie schliesslich gebraucht?

Glücklicherweise kam der Lockdown des Bundesrats genau zur rechten Zeit, sodass die exponentielle Ansteckungskurve gekappt wurde. Dadurch haben wir etwa ein Viertel der bereitgestellten Betten benötigt. Jetzt sind wir mit einem Grossteil des Spitals wieder im Non-Covid-Normalbetrieb. Den Covid- Teil haben wir vom Rest des Spitals völlig abgegrenzt – vom Notfall bis auf die Intensiv- oder Bettenstation.

Wie gut ist es ihnen gelungen, Ansteckungen im Spital, etwa beim Pflegepersonal, zu verhindern?

Wir hatten ganz wenige Infektionen von Mitarbeitenden, nach notfallmässigen Reanimationen und Intubationen. Auf den Stationen gab es aber keine Ansteckung von einem Patienten auf einen anderen, auch praktisch nicht auf das Pflegepersonal – das können wir mit unserem Informatiksystem Lukis sehr gut nachvollziehen.

Also muss man als Patient keine Angst haben, jetzt ins Spital zu gehen?

Die Angst vor dem Spital ist ein grosses Problem, denn die Gefahr an einem Herzinfarkt zu sterben ist deutlich höher als an einer Covid-Infektion. Wir haben gesehen, dass mit dem Lockdown die Hospitalisationen für Herzinfarkt oder Hirnschlag um fast die Hälfte zurückgegangen sind. Die Zahlen bekommen wir über den Epic-Verbund, der uns weltweit mit Spitälern vernetzt. Uns ist es ein grosses Anliegen, den Menschen zu sagen, dass sie unbedingt ins Spital kommen, wenn sie Symptome einer COPD, eines Infarkts oder eine schwere fieberhafte Erkrankung haben. Das Risiko sich im Spital anzustecken, ist extrem niedrig.

Wie hoch schätzen Sie die Gefahr bei Hausärzten ein? Die können ja nicht so gut Covid von Non-Covid trennen.

Unterschätzen Sie die Hausärzte nicht! Es gibt Praxen, die sehr gut organisiert sind und genau diese Trennung gemacht haben. Und wenn Patienten und Ärzte eine Maske tragen, verhindert das Ansteckungen, davon bin ich überzeugt. Wenn sie zusätzlich eine Brille tragen, ist das Risiko noch geringer.

Was soll man als Hausarzt tun, wenn man selbst zur Risikogruppe zählt? Sollte man dann auf Telemedizin umstellen?

Dafür muss man das Risiko einer Infektion anschauen. Der wichtigste Risikofaktor ist das Alter, weil sich die Rezeptoren in den Lungen, an die das Virus andockt, erst mit circa 35 Jahren ausbilden. Übergewicht, Diabetes Typ 2 und Hypertonie, alles, was zum metabolischen Syndrom gehört, sind Risikofaktoren für einen schweren Verlauf. Männer sind stärker gefährdet als Frauen – auch das hat sich herauskristallisiert. Wenn ich ein 70-jähriger gesunder Hausarzt wäre, würde ich mit Maske und Brille weiterarbeiten und noch bewusster als bisher auf die Händehygiene achten.

Was antworten Sie jemand, der Ihnen sagt, das mit Covid sei doch wie bei einer Grippe?

Im Prinzip stimmt das, ja. Das Spezielle am Coronavirus ist aber, dass es nicht nur die Luftwege befällt wie ein Influenzavirus, sondern alle Endothelien, die unsere Bronchien und Blutgefässe auskleiden. Damit ist es eine systemische Infektion, die den ganzen Körper befallen und den Patienten töten kann. Wenn ich infiziert werde, kann ich nicht sicher sein, dass es einen influenzaähnlichen Verlauf nimmt oder ob das plötzlich in eine andere Richtung geht.

Die Gefahr an einem Herzinfarkt zu sterben ist deutlich höher als an einer Covid-Infektion.

Prof. Dr. med. Christoph Henzen, Leiter des Pandemiestabs und Chefarzt für Innere Medizin, Luzerner Kantonsspital

Was weiss man über die schweren Verläufe?

Wir wissen nicht, warum bestimmte Patienten sehr schwere Entzündungen bekommen und andere nicht. Auch der Krankheitsverlauf lässt sich nicht vorhersagen. Wir haben gelernt, dass Menschen mit zunächst leichten Symptome nach 5 bis 7 Tagen massiv erkrankt sind und dann sogar auf der Intensivstation hospitalisiert werden mussten. Wir geben jetzt den Patienten, die bei uns ambulant positiv getestet wurden, ein Pulsoxymeter mit Nachhause. Mit dem Epic-System fragen wir täglich ab, wie die Sauerstoffsättigung ist. Sinkt sie unter 94%, bestellen wir sie ins Spital ein, auch wenn sie sich gut fühlen. Auch Hausärzte sollten covidpositive Patienten nach Möglichkeit nachverfolgen.

Wagen Sie eine Prognose, wie es mit dem Coronavirus weitergeht?

Wir werden mit Sicherheit eine zweite Welle haben oder mehrere kleine. Wahrscheinlich werden wir uns in den nächsten ein bis zwei Jahren schützen müssen, wenn wir auf Menschenansammlungen treffen. Bis eine gewisse Herdenimmunität da ist, bis also 70 bis 80 % der Menschen Antikörper haben, tun wir gut daran, die Schutzmassnahmen weiterzuführen. Aktuell sind wir von einer Herdenimmunität weit entfernt. Ich schätze, wir liegen bei unter 10 %.

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