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Geschenktes Leben

Migros Magazin - Claudia Schwingruber musste nach der Geburt ihrer Tochter notfallmässig am Herzen operiert werden.
7. Januar 2019
Lesezeit: 4 Minuten
Claudia Schwingruber mit Emma Migroszeitung

Alltag, ein Jahr später: Claudia Schwingruber, ihr Mann Christian Brunner und die kleine Emma. (Bild: Stephan Bösch, Migros Magazin, 07.01.2019)

Claudia Schwingruber ist im neunten Monat schwanger und aufgewühlt. Eben hat sie ihre krebskranke Freundin im Spital besucht. Ihr ist schwindlig, sie hat Atemnot und muss sich setzen. Als sie zwischen den Schultern einen plötzlichen Schmerz verspürt, denken sie und ihr Partner Christian Brunner: Jetzt haben die Wehen eingesetzt. Zurück im Luzerner Kantonsspital sind sie im Nu im Gebärsaal. Doch der Wehenschreiber zeigt nichts an. Nach vielen weiteren Checks erkennt der Kardiologe bei Schwingruber einen Riss der gesamten Aorta, der Hauptschlagader. Es geht um Leben und Tod. Bevor die Spezialisten Schwingrubers Aorta flicken können, muss ihr Baby zur Welt gebracht werden. Christian Brunner wird informiert, dass er im schlimmsten Fall allein nach Hause muss. Während der Vorbereitungen für den Kaiserschnitt verfasst das Paar handschriftlich ein Testament. Sie funktionieren nur noch. Der Kaiserschnitt verläuft ohne Komplikationen; schon bald liegt die kleine Emma auf der Brust ihres Papas. Während er ihr Wärme und Nähe schenkt, ist der Körper seiner Freundin auf 26 Grad hinuntergekühlt. Im Herz- und Kreislaufstillstand wird die Hauptschlagader ersetzt, das Herz schlägt für über 60 Minuten nicht. Nur langsam wird ihr Körper danach aufgewärmt, und das Herz fängt von allein wieder an zu schlagen. 

Glück im Unglück
Nach sechs bangen Stunden informiert der Herzchirurg Peter Matt Christian Brunner, dass die Operation erfolgreich verlaufen sei und Claudia nun auf der Intensivstation aufwache. Als er sie kurz darauf mit Emma besucht, ist sie vom Eingriff gezeichnet. Ihre Augenlider sind so geschwollen, dass sie nichts sieht, und sie hängt an Schläuchen. An ihren ersten Moment mit Emma kann sie sich bis heute nicht erinnern. Bloss an die Angst: «Der Gedanke, Emma müsste ohne Mami aufwachsen, war unendlich traurig.» Während Christian Brunner als einziger Mann im Wochenbett schöppelt, wickelt und kuschelt, kommt Claudia Schwingruber langsam zu Kräften. Als Emma neun Tage alt ist, wird ihre Mutter emotional erneut durchgeschüttelt: Im Stockwerk über ihr stirbt ihre liebste Freundin. Nach 13 Tagen im Spital wird sie entlassen. Claudia Schwingruber kann weder einen Kinderwagen stossen noch Emma in der Traghilfe herumtragen: zu frisch sind die Wunden. Aber ihr Baby kurz hochheben, das geht. Per Zufall nimmt Emma immer go viel zu, wie ihre Mutter auch tragen darf. Nach fünf Monaten Mutterschaftsurlaub nimmt sie ihre Arbeit als Lehrerin wieder auf. Claudia Schwingruber ist froh über die Rückkehr zur Normalität. Heute, gut ein Jahr nach der Herzoperation und Emmas Geburt, ist die kleine Familie glücklich im Alltag angekommen. Claudia Schwingruber verarbeitet noch immer den Verlust ihrer «Seelenverwandten». Ihre Notoperation empfindet sie -nicht als Schicksalsschlag, sondern ist dankbar für das Glück im Unglück Ihre Herzoperation und Emma haben ihr eine neue Selbstsicherheit geschenkt. Einzig das Vertrauen in ihren Körper ist noch etwas wacklig. Zieht oder zwickt etwas im Brustbereich, sorgt sie sich. Für Christian Brunner haben sich die Prioritäten verschoben. So nimmt er etwa Probleme im Job gelassener. Heiraten wollte er eigentlich nie. Doch die Zeit, als er um seine Liebsten bangte, stimmte ihn um. Am ersten Weihnachtsfest zu dritt machte er Claudia einen Heiratsantrag. Sie sagte «Ja».

Experteninterview: «Unbedingt reanimieren»

 

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Prof. Dr. med. Peter Matt, Co-Chefarzt Herzchirurgie

Wie oft gibt es Fälle wie den von Claudia Schwingruber?

Ein Aortenriss bei Schwangerschaft ist sehr selten, das gibt es wohl alle zehn Jahre. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei dieser Operation Mutter und/oder Kind sterben, liegt bei 50 bis 75 Prozent.

Woran erinnern Sie sich besonders bei dem Fall?

Mich beschäftigte, dass bei diesem Eingriff nicht nur ein, sondern zwei Menschen hätten sterben können. Während des Kaiserschnitts stand ich die ganze Zeit mit dem Skalpell in der Hand am Brustkorb, um im Notfall eingreifen zu können.

Wie erleben Sie und Ihr Team notfallmässige Herzoperationen?

Als durchaus belastend. Dies ist jedoch mehr vor und nach der Operation beim Gespräch mit den Patienten und den Angehörigen spürbar. Während-der OP fokussieren wir auf die technischen Aspekte: wo wir die Herzlungenmaschine anschliessen, wo und wie wir nähen, wann wir das Herz und den Kreislauf stoppen, wie der Patient von der Herzlungenmaschine entwöhnt wird.

Erleidet jemand einen Herzinfarkt - wie reagieren?

Unbedingt den Patienten reanimieren - immer, immer, immer! Man kann eigentlich nichts falsch machen. Man kann nur nicht reanimieren - und dann stirbt die Person.

Autorin: Monica Müller
Migros Magazin vom 07.01.2019

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