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«Brustkrebs nimmt bei Frauen unter 45 Jahren zu»

Jährlich erkranken in der Schweiz 6500 Frauen neu an Brustkrebs. Früherkennung und Therapie haben in den vergangenen Jahren grosse Fortschritte gemacht, doch noch immer überlebt nicht jede Frau. Worauf es bei der Behandlung ankommt, weiss Dr. med. Susanne Bucher, Co-Chefärztin und Leiterin des Brustzentrums am Luzerner Kantonsspital.
26. Oktober 2023
Lesezeit: 5 Minuten
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Bei wie vielen Betroffenen befindet sich die Krankheit bei der Diagnose noch im Frühstadium?

Epidemiologische Krebsdaten werden zwar seit Ende der 1960er-Jahre gesammelt, allerdings nicht in der ganzen Schweiz. Erst seit dem 1. Januar 2019 ist Krebs eine meldepflichtige Erkrankung. Somit kann ich keine Auswertung bezogen auf die ganze Schweiz geben. Eine epidemiologische Studie mit Auswertung von Krebsdaten der Kantone Freiburg, Genf, Neuenburg, Tessin, Wallis, Waadt und Zürich hat folgende Tumorstadien bei Ersterkrankten gezeigt: 9,2 Prozent der Patientinnen hatten Brustkrebsvorstufen, bei 46,8 Prozent beschränkte sich der Tumor auf die Brust, bei 34,8 Prozent waren zusätzlich Lymphknoten befallen, bei 4,1 Prozent wurden Metastasen gefunden und bei 5,1 Prozent der Frauen konnte das Erkrankungsstadium nicht definiert werden.

Was ist Ihre wichtigste Botschaft an Frauen, bei denen Brustkrebs entdeckt worden ist?

Lassen Sie sich in einem zertifizierten Brustzentrum behandeln. In der Schweiz anerkannte Zertifizierungen sind: das Schweizer Q-Label, die deutsche DKG-Zertifizierung sowie das europäische EUSOMA-Label. Bereits 1998 konnte eine amerikanische Studie aufzeigen, dass die Anzahl pro Jahr in einem Spital behandelte Brustkrebsfälle einen Einfluss auf das Überleben der Patientinnen hat. Zudem zeigten Daten aus Deutschland, dass die Behandlung in zertifizierten Zentren die Überlebensrate der Patientinnen und ihre Lebensqualität verbessert. In zertifizierten Zentren werden die Frauen von einem multidisziplinären Expertenteam betreut. Die Behandlung richtet sich nach internationalen Leitlinien und die Zentren werden jährlich von Experten geprüft. Nur spezialisierte Einrichtungen wie zertifizierte Brustzentren können den heutigen Anforderungen an die komplexe Behandlung und Betreuung gerecht werden.

Welcher Anteil der Krebs-Tumore wird von den Patientinnen selbst entdeckt?

In Regionen ohne organisiertes Brustkrebs-Screening-Programm ist das häufigste Symptom der von der Patientin getastete Knoten in der Brust. Das alleinige Abtasten der Brust ist aber keine Früherkennung, denn besonders bei grossen Brüsten oder Brüsten mit knotigem Gewebe ist dieses sehr schwierig und unsicher. Es gibt Hinweise, dass Frauen Tumore erst ab einer Grösse von mindestens zwei Zentimetern ertasten können. In Regionen mit organisiertem Früherkennungsprogramm sind die Tumore bei den meisten Frauen kleiner. Zudem ist die Rate an Brustkrebs-Vorstufen höher, die durch eine Operation vollkommen geheilt werden können.

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Ich befürworte das organisierte Screening sehr, weil es qualitätsgeprüft ist und ich mir für alle Frauen wünsche, dass der Tumor möglichst früh erkannt und einfacher behandelt werden kann.

Welches sind weitere mögliche Symptome?

Austritt von blutiger Flüssigkeit aus der Brust, Veränderung der Form der Brust, Hautveränderung der Brust, Schwellung in der Achselhöhle, selten Brustschmerzen.

Brustkrebs-Screenings sind nicht unumstritten.

In Screening-Programmen werden alle Frauen ab 50 alle zwei Jahre zu einer Mammografie in einem qualitätsgeprüften radiologischen Zentrum eingeladen. Mittlerweile ist die Zentralschweiz eine der wenigen Regionen, in der es kein organisiertes Brustkrebs-Screening gibt. Trotzdem werden in diesen Regionen Mammografien durchgeführt, allerdings ist keine eigentliche Qualitätsprüfung vorhanden – es sei denn die Untersuchung wird in einem zertifiziertem Brustzentrum durchgeführt. Zudem muss sich die Patientin gemeinsam mit ihrem Arzt aktiv um die Zuweisung kümmern.

Was bringen die Screenings wirklich?

Langfristig führen sie nachweislich zu einer Reduktion der Brustkrebs-Sterblichkeit. Zudem erhofft man sich, dadurch die Neuerkrankungsrate von grösseren Tumoren zu senken. In einem frühen Stadium entdeckter Brustkrebs kann meist schonender behandelt werden. Früherkennungsprogramme bergen aber auch Risiken: So ist es möglich, dass Verdachtsbefunde in der Mammografie zu Biopsien führen, die letzlich gutartig sind. Diese Fehlalarme können eine seelische und körperliche Belastung für die Betroffenen sein. Ich befürworte das organisierte Screening sehr, weil es qualitätsgeprüft ist und ich mir für alle Frauen wünsche, dass der Tumor möglichst früh erkannt und damit einfacher behandelt werden kann.

Wie alt sind die Patientinnen bei der Erstdiagnose?

Durchschnittlich 64 Jahre. Die Hälfte aller Patientinnen mit Brustkrebs ist zwischen 50 und 65 Jahre alt. 30 Prozent sind älter, ungefähr 20 Prozent sind 49 oder jünger. Es gibt aber Hinweise, dass der Brustkrebs bei Frauen unter 45 Jahren zunimmt.

Die Behandlung hat grosse Fortschritte gemacht.

Ja, insbesondere wegen der zielgerichteten Therapien. Dazu gehören etwa die Antikörper- und Immuntherapie. Dank ihnen haben auch Patientinnen mit aggressiven Tumoren eine bessere Prognose. Hormonsensible Tumoren in lokal fortgeschrittenem Stadium können heutzutage ebenfalls erfolgreicher mit einer Kombination von einem Anti-Hormon mit einem weiteren Medikament behandelt werden.

Zwischen 1988 und 2017 ist die Sterblichkeitsrate in der Schweiz zurückgegangen, trotzdem sind jährlich 1400 Todesfälle zu verzeichnen.

Werden Krebstherapien heute grundsätzlich personalisiert?

Basis dieser massgeschneiderten Krebstherapie sind neue diagnostische Methoden, bei denen das Tumorgewebe molekulargenetisch untersucht wird. Dabei sucht man nach spezifischen Veränderungen der Tumorzellen, sogenannten Biomarkern. Die Tumorzellen lassen sich dann genau an dieser Stelle angreifen. Zudem existieren Brustkrebs-Tests, die das Rückfallrisiko einer Patientin einschätzen können. Dies hilft uns bei der individuellen Festlegung der Therapie-Empfehlung. Es gibt aber nach wie vor Standardtherapie-Säulen wie Operation, Chemotherapie, Antihormontherapie oder Strahlentherapie. Nicht jede Frau braucht all diese Behandlungen. Die Art der Therapie richtet sich nach Tumorstadium, Alter, Tumorbiologie und dem Wunsch der Patientin.

Wo steht die Brustkrebs-Forschung?

Es wird sehr viel geforscht. Ein paar Beispiele: Bei der chirurgischen Behandlung wird nach Möglichkeiten gesucht, wie weniger aggressive Operationsmethoden genauso sicher sind. Oder ob nach einer Chemotherapie, wenn in der radiologischen Untersuchung kein Tumorgewebe mehr nachweisbar ist, eine Operation überhaupt noch nötig ist. Sehr viel geforscht wird auch auf dem Gebiet der neuen Medikamente, insbesondere im Bereich von zielgerichteten Therapien. Untersucht wird zudem, ob es von Vorteil ist, jede Brustkrebspatientin auf vererblichen Brustkrebs zu testen. Ein grosses Thema sind überdies vereinzelte zirkulierende Tumorzellen. Diese haben sich im Körper ausgebreitet und noch keine eigentlichen Ableger gebildet, können aber die Krebstherapie überstehen. Man versucht herauszufinden, warum diese schlafenden Metastasen nach Jahren wieder aktiv werden.

Wie viele Frauen sterben heutzutage noch an Brustkrebs?

Das Risiko, im Laufe des Lebens an Brustkrebs zu sterben, beträgt 2,4 Prozent. Zwischen 1988 und 2017 ist die Sterblichkeitsrate in der Schweiz um 45 Prozent zurückgegangen, 88 Prozent der Brustkrebs-Patientinnen leben fünf Jahre nach der Erstdiagnose noch. Trotzdem sind jährlich 1400 Todesfälle zu verzeichnen.

Wie lauten Ihre besten Tipps zur Vorbeugung von Brustkrebs?

Beeinflussbare Risikofaktoren, die zu einer Erhöhung des Brustkrebsrisikos führen sind: Übergewicht in der Menopause, Bewegungsmangel, Alkoholkonsum, Rauchen, Hormonersatztherapie. Somit empfehle ich einen gesunden Lebensstil und viel Bewegung. Es gibt aber auch Risikofaktoren, die wir nicht beeinflussen können: frühe erste Periode, späte Menopause, familiäre Brust- und Eierstockkrebsbelastung. Sollte letzteres vorliegen, so empfehle ich eine Beratung in einem zertifizierten Brustzentrum.

Dieses Interview erschien im September 2023 im Magazin 50 plus
 

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