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Ein besonderer Osterbaum

Zentralschweiz am Sonntag - Der Kirschbaum steht in voller Blüte - Plüschtiere und Mobiles hängen an seinen Ästen. Es ist ein wunderschöner Ort. Und doch ein unendlich trauriger. Denn hier, im Friedental, verabschieden sich Eltern von ihren Kindern und dem Leben, das diese nicht haben können.
21. April 2019
Lesezeit: 4 Minuten
ein besonderer osterbaum

Bettina Tunger und Brigitte Amrein am Kinderfeld im Friedental. Bild: Manuela Jans-Koch (Luzern, 11. April 2019)

Ostern, der wichtigste christliche Feiertag, symbolisiert die Wiedergeburt des Frühlings und den Beginn eines neuen Lebens. Der Osterbaum steht für die Auferstehung. Ob diese Symbolik ein tröstender Gedanken für die Menschen ist, die hierher kommen? Der Kirschbaum auf dem Kinderfeld ist das blühende Leben. Was für ein Kontrast zu der unendlichen Trauer, die hier so spürbar ist, dass selbst zufälligen Besuchern das Herz schwer wird. Die Äste sind geschmückt mit Zeichen der Liebe und kleinen Abschiedsbriefen an Kinder, die nie einen Atemzug gemacht haben. Sie sind vor, während oder kurz nach der Geburt gestorben. Die Seelsorgerinnen des Luzerner Kantonsspitals, Brigitte Amrein und Bettina Tunger-Zanetti, kennen den Schmerz der Eltern, Grosseltern und Geschwister, die sich auf den Familienzuwachs gefreut haben und dann erfahren müssen, dass das Kind nicht leben wird. In der Frauenklinik, wo die beiden arbeiten, sind Freud und Leid oftmals Zimmernachbarn. Während sich andere Familien über ein gesundes Kind freuen, erleben manche etwas vom Schlimmsten, was Eltern widerfahren kann.

«Die Hebammen rufen uns an, wenn die Geburt eines toten Kindes bevorsteht», erzählt Bettina TungerZanetti. «Wir beraten die Eltern im Zusammenhang mit der Bestattung, weil es da inzwischen verschiedene Formen gibt. Oft ergibt sich aus dem Beratungsgespräch ein Seelsorgegespräch.» Was aber sagt man Eltern, wenn gerade etwas passiert, das sich kaum in Worte fassen lässt? «Wir versuchen den Angehörigen Halt zu geben. Wir sagen ihnen, was in den nächsten Stunden passieren wird, und versuchen herauszuspüren, was sie jetzt brauchen», sagt Tunger-Zanetti, die selber dreifache Mutter ist. Manchmal sei das ein Abschiedsritual im Raum der Stille, zusammen mit den Grosseltern und allfälligen Geschwistern. «Das Zusammengehörigkeitsgefühl, das während dieser intimen Momente manchmal entsteht, kann Trost spenden, wenn sonst die Trauer alle zu überwältigen droht», erzählt sie.

Betroffene spüren: Sie sind mit ihrem Verlust nicht allein

Die meisten Eltern entscheiden sich, ihr früh verstorbenes Kind auf dem Kinderfeld bestatten zu lassen. «Dass das Kind nicht alleine in einem Grab liegt, ist für viele eine tröstliche Vorstellung», sagt Bettina Tunger-Zanetti. Die Eltern können seit 2013 dabei sein, wenn ihre Kinder beerdigt werden. Jeweils am ersten Dienstag im Monat finden um 14 Uhr auf dem Friedhof Friedental Abschiedsfeiern statt. Sie sind für die Eltern unentgeltlich. «Jedes Paar bekommt ein Grablicht zum Gestalten. So können sie ihrem Kind einen letzten Wunsch mitgeben, dem Kleinen noch etwas Gutes tun», erklärt die reformierte Seelsorgerin Tunger-Zanetti. Sie gestaltet die Feiern im Wechsel mit ihrer katholischen Kollegin. Bis vor kurzem war dies Brigitte Amrein, die sich seit mehr als 30 Jahren für die Abschiedsfeiern engagiert. «Es handelt sich um ökumenische Abschiedsfeiern, alle Eltern sind willkommen, unabhängig davon, welcher Religion sie angehören. Wir gestalten sie so, dass alle sich aufgehoben fühlen», so Amrein.

Nach der Feier in der Abdankungshalle zieht die Trauergemeinschaft zum Kinderfeld, wo die kleinen Särge - meistens sind es mehrere - der Erde übergeben werden. «Es ist sehr berührend. Die Familien sind eine Schicksalsgemeinschaft, sie merken, dass sie nicht alleine sind mit ihrem Verlust», sagt Bettina Tunger-Zanetti. Oft sind auch Kinder dabei, die sich von ihren Geschwistern verabschieden. Das Grab ist jeweils mit Sternenfolie ausgelegt. «Ich erinnere mich an einen besonders schönen Moment. Da hat sich ein kleiner Bub neben dem Grab auf den Boden gelegt und lange runter geschaut. Irgendwann stand er auf und sagte: <Schau Mami, da hat es auch noch einen Himmel. Jetzt können sie da zusammen spielen>.» Wie natürlich Kinder mit dem Tod umgehen, findet Tunger-Zanetti beeindruckend. Die Abschiedsfeier sei für viele Angehörige ein erster Schritt zurück ins Leben.

Die Seelsorgerinnen haben jahrelange Erfahrung

In der Spitalseelsorge arbeiten am Standort Luzern sieben Personen. Sie begleiten auch Patienten, wenn etwa eine schwere Operation bevorsteht. «Die Seelsorge verstehen wir als ökumenische Aufgabe der reformierten und der katholischen Kirche», sagt Tunger-Zanetti. Ganz nach dem Motto: «Gemeinsame Verantwortung, unterschiedliche Traditionen», wie Amrein ergänzt. Die katholische Seelsorgerin Brigitte Amrein hat drei Jahrzehnte Erfahrung mit der Begleitung von betroffenen Eltern. Ende Monat geht sie in Pension und ihre reformierte Kollegin Bettina Tunger-Zanetti wird die Hauptverantwortung für die Abschiedsfeiern auf dem Kinderfeld übernehmen. «Wir haben die Aufgaben für die Gestaltung der Feiern in den vergangenen Jahren gemeinsam wahrgenommen. Wir konnten uns gegenseitig stützen und das Schwere teilen», sagt Amrein.

Autor: Lena Berger
Quelle: Zentralschweiz am Sonntag vom 21.04.2019

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