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Ein Leben mit weniger als fünf Grad Sichtfeld

Am 13. Oktober 2022 ist Welttag des Sehens. Der am zweiten Oktober-Donnerstag stattfindende Tag will darauf aufmerksam machen, wie wichtig gutes Sehen ist und dass viele der verbreiteten Sehbeeinträchtigungen behandelt werden könnten. Jeannine Sutter ist Digital Copywriter am Luzerner Kantonsspital (LUKS). Sie ist von einer seltenen Erkrankung betroffen, die ihr Sichtfeld beeinflusst. Sie arbeitet in der Abteilung Kommunikation und Marketing und absolviert gerade ihr Masterstudium.
13. Oktober 2022
Lesezeit: 4 Minuten
Jeannine Sutter
Jeannine Sutter an ihrem Arbeitsplatz

Das Luzerner Kantonsspital, wo Jeannine als Digital Copywriter in der Abteilung Kommunikation und Marketing tätig ist, erlebt sie als sehr offen. Ihr Arbeitsalltag ist sehr vielseitig. Unter anderem verfasst sie die Krankheitsbilder auf luks.ch oder ist für den Chatbot «Lisa» der Frauenklinik zuständig. Dieser beantwortet Fragen rund um Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Zudem hat sie massgeblich am Online-Schwangerschaftskalender mitgewirkt, der werdende Mütter und deren Lebenspartner durch die Zeit vor, während und nach der Geburt begleitet.

Screenreader im Ohr hilft beim Schreiben

Jeannine erledigt ihre Arbeit mithilfe eines Screenreaders – ein Programm, das ihr vorliest, was sie gerade schreibt oder liest. Hierfür braucht sie eine spezielle Software. «Oftmals sind Betriebe eher skeptisch gegenüber externer Software und fürchten um ihre IT-Sicherheit.» Sie ist sehr froh um dieses Werkzeug, denn ohne das könnte sie den Computer nicht bedienen, sagt Jeannine und reicht ihren Kopfhörer. «Hör mal! Je schneller die Stimme spricht, desto effizienter kann ich meinen Computer bedienen.» An die für Ungeübte rasante, computerartige Stimme gewöhne man sich. Das gehe für Menschen mit einer Sehbehinderung gar leichter als mit einer natürlichen Stimme.

Jeannine Suter mit dem weissen Stock
Unterwegs im LUKS-Gelände.

Ihre Teamkolleginnen und -kollegen erleben Jeannine als aufgestellte junge Frau. Sie lacht herzhaft und hat immer ein offenes Ohr für die Anliegen anderer. Aufgrund ihres Studiums ist sie nur einmal pro Woche am Arbeitsplatz, ihre «Gspändli» freuen sich aber umso mehr auf ein Wiedersehen: «Jeannine verbreitet mit ihrer positiven und aufgestellten Art eine super Stimmung im Team. Sie reist viel in der Welt herum. Gerade erst war sie in Schottland und Island und hätte für Unentschlossene einige Reisetipps in petto», erzählen Teamkollegen.

Unsicherheit ist schnell gewichen

Ihr Vorgesetzter Simon Infanger sagt: «Jeannine ist eine Bereicherung für unser Team und das LUKS. Sie leistet einen super Job und ist eine grossartige Person, die wir sehr schätzen. Ich finde es wichtig, auch Leuten mit einer Beeinträchtigung eine Chance zu geben.» Letztlich zahle es sich für beide Seiten aus. Die Unsicherheit über die geeignete Arbeitsumgebung und die nötige Unterstützung verschwand schnell. «Grundsätzlich benötigen alle neuen Mitarbeitenden eine Einarbeitungszeit. Dank Jeannines offener Art und einer guten Absprache im Team hat sie sich unglaublich schnell eingelebt.»

«Hast du mir deinen Ellbogen?»

Machen sich Jeannine und ihr Team zum Mittagessen auf, fragt sie mit einem Lächeln: «Hast du mir deinen Ellbogen?» Auf dem Weg zum Essen hängt sie gerne ein. Sie bewältigt zwar den Arbeitsweg und die Wege im Spital selbstständig. Weil sie jedoch einen weissen Stock mit sich führt, sei sie froh, wenn ihre Kolleginnen und Kollegen ihr das Tablett tragen. «Als ich die Stelle bekam, hatte ich etwas Respekt, nicht alles selbstständig erledigen zu können. Ich wusste nicht von Beginn an, wie barrierefrei mein Arbeitsumfeld am LUKS sein wird. Heute geht alles ausser dem Gang in die Cafeteria ohne Unterstützung», sagt sie voller Selbstbewusstsein.

Heute geht alles ausser dem Gang in die Cafeteria ohne Unterstützung.

Jeannine Sutter über ihr Leben mit dem weissen Stock.

Wenn ihr mal ein Arzt eine Video-Datei für ihre Arbeit zuschicke, nehme sie es mit Humor, dass sie diese ja nicht anschauen könne. «Die wissen das ja nicht.» Gewöhnungsbedürftig sei für sie, dass immer wieder Leute sie auf dem Arbeitsweg ansprechen und ihr den Weg zur Augenklinik weisen wollen, erzählt sie mit einem breiten Lachen im Gesicht. «Die meinen es ja nur gut.» Jeannine hat viel zu erzählen, und sie tut das bewundernswert offen.

Neben der Arbeit am LUKS absolviert Jeannine ein Masterstudium an der Universität in Basel, wo sie auch wohnt. Unterstützung kriegt sie einzig von einer Haushaltsassistenz, welche alle zwei Wochen vorbeikommt. Jeannine wohnt gerne allein, das Pendeln nach Luzern macht ihr nichts. «Luzern ist eine wunderschöne Stadt. Zudem bin ich hier verwurzelt und meine Eltern wohnen hier. Ich gehe gerne auf Besuch.» Nach dem Studium möchte sie in der Kommunikationsbranche weiter Fuss fassen. «Ich habe gemerkt, dass mir insbesondere das Schreiben Spass macht und ich mich gerne in unterschiedliche Zielgruppen hineinversetze. Ausserdem ist Schreiben sehr barrierefrei», sagt sie mit einem Zwinkern.

Soziales Engagement für Mitbetroffene

Jeannine engagiert sich privat stark für Personen mit einer Seh- oder anderen Beeinträchtigung. «Der Einsatz für Menschen mit Beeinträchtigungen ist mir sehr wichtig. Wenn wir wollen, dass unsere Bedürfnisse gehört und berücksichtigt werden, müssen wir sie auch laut äussern», sagt Jeannine. Das gelte sowohl für Forschung und Entwicklung von Therapien als auch im Bereich der gesellschaftlichen Teilhabe und Inklusion. Man kann Jeannine darum genauso gut auf einem internationalen Forschungskongress antreffen wie an einem Kunstfestival oder bei der Sensibilisierung von Mitarbeitenden eines Museums. «Klar bedeutet das auch zusätzliche Arbeit, aber wenn wir nicht für uns selbst sprechen, dann tun es andere, die nicht selbst betroffen sind oder schlimmer: Niemand.»

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