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Er harrt aus, wenn jedem anderen die Worte fehlen

Luzerner Zeitung - Leo Elmiger ist seit kurzem Teil des Seelsorgeteams am Luzerner Kantonsspital in Sursee. Er ist Töfffahrer und Theologe mit Wirtepatent - und hat entsprechend über Umwege seine Lebensaufgabe gefunden.
17. April 2019
Lesezeit: 4 Minuten
leo elmiger luzerner zeitung

Leo Elmiger (57) ist seit kurzem Teil des Spitalseelsorge-Teams. (Bild: Boris Bürgisser, Sursee, 9. April 2019)

Bei der Blutentnahme vermeidet er den Blick auf die Spritze. Tunlichst. Es würde ihm speiübel sonst. Und trotzdem ist der Rainer Leo Elmiger (57) seit einigen Wochen tagtäglich dort unterwegs, wo Verwundete ein- und ausgehen: Der Diakon arbeitet neu als Seelsorger im Spital Sursee. Zusammen mit Peter Nicola, dem zweiten Seelsorger in Sursee, und weiteren in den Kliniken Wolhusen und Luzern, betreut er Patienten und Angehörige. Unabhängig von deren Konfession. Tag und Nacht. «Die Sorge um die Seele ist unsere oberste Maxime», sagt der Katholik. «Ich klopfe als Mensch an die Zimmertür, habe keine Absicht zu missionieren. Spitalseelsorger unterstehen wie Ärzte der Schweigepflicht, haben immer Zeit für Gespräche.» Wir treffen Leo Elmiger auf der Dachterrasse des Spitals. Sein Erscheinen: auffällig. Schwarze Hornbrille und Hose, senfgelber Pulli, darunter ein Hemd im Paisleymuster. Seine Ausstrahlung: einnehmend. Wer dem Seelsorger begegnet, kann sich vorstellen, wie sich ihm selbst jene anvertrauen, die mit der Kirche längst nichts mehr am Hut haben. Leo Elmiger sagt, sein Dienst sei für ihn mehr als ein Job. Eine Berufung.

Zehn Jahre in der Notfallseelsorge aktiv

Leo Elmiger ist verheiratet, Vater dreier erwachsener Töchter, fährt Töff, spielt Tennis. Fast zehn Jahre hat er sich in der Pfarrei Büron/ Schlierbach engagiert, die letzten Monate half er in den Pfarreien des Hitzkirchertals aus. Der Wechsel in die Spitalseelsorge ist ein Abschied vom Pfarreileben. «Gereizt hat mich vor allem, noch einmal etwas Neues zu wagen.» Wobei: Der langjährige Notfallseelsorger betritt mit der jetzigen Tätigkeit kein Neuland. Tötungsdelikte, Unfälle, Suizide: Elmiger hat in seiner Laufbahn schon viele auf der Schattenseite des Lebens begleitet. «Ich habe früh gemerkt, dass ich stark genug bin, um solche Situationen zu ertragen», sagt Elmiger. Als Jugendlicher, dessen Vater dreimal auf der Intensivstation lag und schliesslich verstarb. Als Koch, der sich in der Beiz jenen annahm, die ein offenes Ohr brauchten. Erst mit 30 schlug Elmiger den kirchlichen Weg ein. «Heute bin ich Theologe mit Wirtepatent», sagt er und lacht. Elmiger ist ein Mann mit Schalk. «Ein Lacher pro Gottesdienst gehört bei mir dazu.»

Wer ins Spital eintritt, wird von Elmiger oder Nicola besucht. «Man spürt schnell, was zu tun oder zu lassen ist», sagt Elmiger. Hier ein kurzer Wortwechsel, dort ein Gebet. Der einen helfe das Anzünden einer Kerze, der andere wünsche sich eine Krankensalbung, der nächste erzähle ihm kurzerhand die ganze Lebensgeschichte. Auch Junge nähmen seine Dienste in Anspruch. Manchmal mit der Devise: «Nützt s nüd, so schad s nüd.» Abgewimmelt wird er selten - und wenn, nimmt er es nicht persönlich. Sagt nur: «Lass die Tür einen Spalt weit offen. Ich bin da, wenn du mich brauchst.»

Jeden Morgen appelliert Seelsorger Elmiger an seinen Schutzengel, ihm die Kraft zu geben, um die anstehenden Aufgaben zu meistern. Kürzlich hatte er einer Familie beizustehen, deren Vater schwer krank ist. Die Diagnose des Arzts hatte die Angehörigen überfordert. Seelsorger Elmiger versuchte, die niederschmetternde Botschaft in eine Perspektive zu übersetzen, die die Mauer der Trauer durchbricht. Bat den Arzt um erneute Erklärung. «Der Seelsorger als neutrale Person ist wichtig», sagt Elmiger. «Gerade, wenn sich Angehörige nicht artikulieren können, wenn Worte fehlen.»

«Hilflosigkeit muss man aushalten können»

Manchmal müsse auch er sich eingestehen, hilflos zu sein. Elmiger: «Das muss man aushalten können.» Energie tankt er aus jenen Begegnungen im Gang mit Patienten, die nach Hause zurückkehren. Was er schwer verarbeiten kann, bespricht er mit seiner Frau Beni oder seinen Berufskollegen. «Mitanzusehen, wie etwa ein Mann seine geliebte Gattin verliert, geht nicht spurlos an mir vorbei.»

Beim Besuch am Krankenbett trifft Elmiger oft auf Ohnmacht, mitunter auf Wut über einen Gott, der Krankheit und Tod zulässt. «Ich versuche, den Betroffenen zu vermitteln, ihr Schicksal nicht als Strafe aufzufassen», sagt Elmiger. «Gott will das Leid nicht, aber er lässt es zu. So, wie er auch all das Gute geschehen lässt.» Er wolle Patienten ein Urvertrauen vermitteln, selbst in den schwersten Stunden. «Denn man kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hände.»

Autorin: Evelyne Fischer
Quelle: Luzerner Zeitung vom 17.04.2019
 

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