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«Es kursieren falsche Vorstellungen»

Zentralschweiz am Sonntag: Interview mit Dr. med. Christian Brunner
13. Mai 2018
Lesezeit: 4 Minuten
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Christian Brunner, Sie sind Leiter des Organspende-Netzwerks Luzern. Was ist genau Ihre Aufgabe?

Die Schweiz ist in fünf Organspende- Netzwerke unterteilt. Unsere Aufgabe ist es, in den Spitälern dafür zu sorgen, dass Organspender als das erkannt werden, den Spendeprozess in den Zentralschweizer Spitälern zu gewährleisten und die Angehörigen zu begleiten. Dabei arbeiten wir eng mit Swisstransplant zusammen.

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Dr. med. Christian Brunner ist seit dem 1. Januar 2018 Leiter des Organspende- Netzwerks Luzern. Er arbeitet als Oberarzt auf der Intensivstation des Luzerner Kantonsspitals

Organspender erkennen? Wer kann denn Organe spenden?

Es gibt drei Arten von Spendeformen: Spender nach Hirntod, nach Herz-Kreislauf- Stillstand und Lebendspender. Es gibt keine obere Altersgrenze.

Wie läuft dieser Prozess ab?

Wenn bei einem Patienten keine Behandlungsmöglichkeit mehr besteht und der Hirn- oder Herztod eintreten könnte, klären wir ab, ob ein Organspendewunsch besteht. Dazu müssen wir die Angehörigen nach dem Wunsch des Verstorbenen fragen, denn in der Schweiz gilt das Prinzip, dass nur der spenden kann, der diesen Willen explizit kundtat. In mehr als der Hälfte der Gespräche müssen die Angehörigen die schwierige Situation stellvertretend im Sinne des Verstorbenen übernehmen, weil das Thema einer Organspende nie angesprochen wurde. Das ist eine sehr belastende Situation in einem schwierigen Moment.

Angenommen, ein Patient spendet seine Organe. Wie geht es weiter?

Dann wird eine Organevaluation durchgeführt. Die Organe werden auf ihre Funktionsfähigkeit und Grösse untersucht. Diese Daten, zusammen mit den Informationen zur Blutgruppe, werden in einem elektronischen System erfasst. Über dieses System erfolgt nach klar vorgeschriebenen Regeln die Zuteilung der Organe.

Sie können also nicht einem Patienten ein Organ entnehmen und gleich einem anderen einsetzen?

Theoretisch wäre das in einem Transplantationszentrum (Genf, Lausanne, Bern, Basel, Zürich, St. Gallen) möglich, wo Organentnahme und -transplantation unter Umständen am selben Ort stattfinden. Alle Zentren sind jedoch zwingend an das Vergabesystem gebunden. Der Prozess ist derselbe, wie wenn der Empfänger in einem anderen Spital wäre. In der Schweiz ist der Prozess des Organspendens von dem des Empfangens streng getrennt. Das ist sehr wichtig, damit keine ethischen Konflikte durch Einflussnahme entstehen können.

Wie kommt ein Organ zum Empfänger?

Swisstransplant hat den Auftrag, das Vergabesystem zu verwalten, hat aber keinen Einfluss auf die Warteliste. Es ist gesetzlich klar geregelt, wie die Organe zugeteilt werden. Neben der medizinischen Dringlichkeit werden der medizinische Nutzen und die Zeit auf der Warteliste bei der Zuteilung berücksichtigt.

Was geschieht, wenn das Organ zu niemandem passt?

Organe, die in der Schweiz nicht zugeteilt werden können, werden den Partnerorganisationen, prioritär Frankreich, angeboten. Diese grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist wesentlich für Kinder und Patienten mit seltenen Blutgruppen und ist unentgeltlich. Eine Organspende ist ein Geschenk. Die Unentgeltlichkeit und die Nachverfolgung einer Organspende sind wesentlich, um den ethisch hoch verwerflichen und illegalen Organhandel zu unterbinden.

Was kann gespendet werden?

Die Organe Herz, Lunge, Leber, Niere, Bauchspeicheldrüse und der Dünndarm sowie Gewebe wie etwa die Hornhaut.

Wieso gibt es zu wenig Spenden?

Nur als Beispiel: Im Luzerner Kantonsspital sterben jährlich 800 bis 1000 Menschen. Davon wären etwa 60 mögliche Spender. Doch in 60 Prozent dieser Fälle lehnen die Angehörigen eine Organspende ab, und zwar meist aus Unsicherheit, denn weniger als 10 Prozent der betroffenen Patienten verfügen über einen dokumentierten Patientenwillen. Und wenn Angehörige nicht sicher sind, was der Wunsch des Sterbenden ist, entscheiden sie sich in der Regel dagegen.

Welche Gründe führen die Leute an?

Uns gegenüber äussern die Angehörigen vor allem die genannte Unsicherheit. Andere Gründe sind etwa religiöse Überlegungen oder falsche Vorstellungen von der Organspende.

Welche falschen Vorstellungen?

Zum Thema Organspende kursieren viele Gruselgeschichten. Dazu ein paar Facts: Ich stehe unter keinerlei Druck, eine gewisse Anzahl an Organspendern «auftreiben» zu müssen. Auch stellt eine Organtransplantation für Ärzte keinerlei finanziellen Anreiz dar. In der Schweiz findet kein Organhandel statt. Dies ist im Transplantationsgesetz festgelegt und international strafbar.

Was beschäftigt Angehörige am meisten?

Oft ist beim Hirntod der Todeszeitpunkt ein Thema. Wir erklären den Angehörigen den Ablauf einer Spende nach Hirntod möglichst genau und können dadurch Zweifel ausräumen.

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