Für Lebensqualität bis ans Lebensende
Beat Müller, Leiter der Abteilung Palliative Care, in einem Abteilungszimmer des Luzerner Kantonsspitals. (Bild: Dominik Wunderli, Luzern, 27. April 2017)
Palliative Care ist eine der ältesten und jüngsten Disziplinen der Medizin zugleich. Alt ist sie, weil Ärzte zu Beginn ihres Wirkens nur wenige Hilfsmittel zur Verfügung hatten, und ihre Tätigkeit oft nicht viel mehr war als ein Begleiten des Sterbens. Jahrhunderte sind seither verstrichen. Die Forschung hat enorme Fortschritte gemacht, viele Krankheiten sind heilbar geworden. Nach wie vor gibt es aber solche ohne Chancen auf Genesung. Der ganzheitliche Umgang mit ihnen - verbunden mit der Vielzahl von heute zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln - ist der neue Ansatz der alten Disziplin. «Im Zentrum steht die Sicherung von Lebensqualität bis ans Lebensende», sagt Beat Müller. Der Onkologe und Palliativmediziner leitet die seit 2012 bestehende Schwerpunktabteilung Palliative Care am Luzerner Standort des Kantonsspitals LUKS.
Vom Arzt bis zum Seelsorger
Nach Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO kümmert sich Palliativmedizin um physische, psychosoziale und spirituelle Probleme am Lebensende. Im Mittelpunkt steht weit mehr als die medizinische Betreuung: In multiprofessionellen Teams arbeiten Fachleute aus Medizin, Pflege, Physiotherapie, Sozialarbeit, Ernährungsberatung sowie Seelsorge. In Luzern treffen sie sich zwei Mal wöchentlich, um die verschiedenen Fälle zu besprechen. Hauptsächlich behandeln Beat Müller und seine Kollegen Menschen mit Tumoren im fortgeschrittenen Stadium. Indes steht die Abteilung allen Menschen mit unheilbaren Erkrankungen offen. «Stationäre Patienten kommen zu uns, wenn die Betreuung zu Hause nicht mehr funktioniert.» Etwa wenn die technische Infrastruktur fehlt - beispielsweise Geräte für eine Sauerstofftherapie wegen Atemnot. Oder wenn ein Patient über starke Schmerzen klagt, die sich mit der bisherigen Medikation nicht mehr lindern lassen. Aber auch dann, wenn Angehörige bei der Betreuung an ihre Grenzen stossen.
Zusammenarbeit mit Hausarzt und Spitex
Daneben gibt es die ambulanten Patienten. Sie sind in erster Linie mit Lungen-, Herzkreislauf- oder Stoffwechsel-Erkrankungen in weit fortgeschrittenen Stadien konfrontiert. «Sie werden primär vom Hausarzt und anderen Spezialisten behandelt und kommen allenfalls für spezifische Therapien und Beratungsgespräche zu uns.» Das multiprofessionelle Team klärt ab, welche Massnahmen zu treffen sind. Einerseits nehmen sich die Spezialisten den körperlichen Problemen an. Beispielsweise, indem sie eine Schmerztherapie einleiten oder einen Ernährungsplan erstellen. «Daneben prüfen wir bei stationären Patienten, ob die Betreuung zu Hause so angepasst werden kann, dass eine Rückkehr möglich wird.» Denn oberstes Ziel ist es, dass Patienten ihren letzten Lebensabschnitt in den eigenen vier Wänden verbringen. Es ist dies ein Wunsch, den die meisten hegen. Um ihn zu erfüllen, klären die Sozialarbeiter des Teams ab, welche Anpassungen notwendig sind. Etwa eine ergänzende Betreuung durch die Spitex oder die Beschaffung der notwendigen Infrastruktur wie Pflegebett, Nachtstuhl oder Treppenlift.
Manchmal hilft ein Gespräch mehr als ein Medikament.
Dr. med. Beat Müller, Leiter der Abteilung Palliative Care
Körperliche und psychische Schmerzen
Wichtiger Bestandteil ist ferner die psychologische und spirituelle Betreuung. «Neben körperlichen Schmerzen haben Patienten oft auch seelische», sagt Beat Müller. «Sie müssen sich umstellen und Abschied nehmen von ihrem Umfeld - von der Familie und der bisherigen Rolle. » Hier helfe ein Gespräch mit einem Seelsorger oder Psychologen manchmal mehr, «als ein von einem Arzt verschriebenes Medikament». Was nicht heissen soll, Mediziner würden keine Gespräche führen. Im Gegenteil: «Sie machen ungefähr 60 Prozent meiner Arbeit aus», so Müller. Im Idealfall beginnt die Betreuung dann, wenn die Diagnose einer unheilbaren Krankheit vorliegt, nicht erst kurz vor dem Tod. «Die 'End of life care' ist ein Teil unserer Arbeit, aber nicht der wichtigste.» Der Umgang mit dem bevorstehenden Tod sei sehr unterschiedlich. Die angewendeten Strategien reichten von Verdrängung über Wut und Angst bis zu Gelassenheit. In der letzten Phase aber sei bei vielen Patienten eine Entspannung feststellbar. «Sie werden sich ihrer Endlichkeit bewusst.»
Betreuung von Angehörigen
«Bedenkt: Den eigenen Tod, den stirbt man nur; doch mit dem Tod der anderen muss man leben», schrieb einst die Dichterin Mascha Kaleko. Für Familienmitglieder ist der Umgang mit einer unheilbaren Krankheit genauso schwierig wie für die Patienten. Doch diese Tatsache wurde über weite Strecken vernachlässigt. Heute nicht mehr, nun definiert die WHO Palliative Care ausdrücklich auch als Betreuung von Angehörigen. Diese reicht von der psychischen oder spirituellen Unterstützung bis zur Instruktion in Sachen Betreuung. «Wir zeigen den Angehörigen, wie sie Patienten daheim helfen können.» Das Spektrum ist weit: Von Hausarbeiten bis zu pflegerisch-medizinischen Massnahmen, etwa die Hilfeleistung bei der Medikamenteneinnahme. Bei stationären Patienten ist es überdies möglich, dass Angehörige dem Pflegepersonal des Spitals helfen. «Falls sie dies möchten, sind sie bei uns herzlich willkommen», so Beat Müller.
Mangel an Fachkräften
Obwohl es der Wunsch der meisten Patienten ist, im gewohnten Umfeld Abschied zu nehmen, sterben in der Schweiz immer noch rund 40 Prozent in Spitälern - Alters- und Pflegeheime sind in diesem Wert nicht berücksichtigt. Mitverantwortlich dafür ist der Mangel an Fachleuten. Doch hier sei eine Verbesserung spürbar, sagt Beat Müller. «Das Angebot von Palliative Care wächst, immer mehr Personen absolvieren entsprechende Ausbildungen. » Neben der Arbeit von Profis sei aber auch jene von Freiwilligen unerlässlich. «So hilft es nur schon, wenn eine Person den Patienten eine Stunde lang betreut, damit Angehörige einkaufen gehen können.» Die Nachfrage wird in den nächsten Jahren zunehmen. Einerseits, weil die Lebenserwartung erheblich gestiegen ist. Andererseits, weil sich die familiären Strukturen verändert haben. «Früher lebten Generationen unter einem Dach vereint: Vom Wochen- zum Sterbebett. » Dadurch war die Pflege von Kranken besser gewährleistet. Mit den heutigen Kleinfamilien ist dies oft nicht mehr möglich. Im Vergleich zum benachbarten Ausland wurde die Disziplin in der Schweiz lange vernachlässigt. Beat Müller beispielsweise musste noch in Freiburg im Breisgau studieren. Mittlerweile gibt es immerhin einen Lehrstuhl für angehende Palliativmediziner - an der Universität Lausanne. Daneben nimmt die Zahl der Vereine zu, welche die Arbeit der verschiedenen Organisationen koordinieren. Sie sind zusammengefasst in der Fachgesellschaft palliativ.ch. Seit Kurzem gibt es auch im Kanton Luzern eine Informations- und Beratungsstelle.
Beratungsstelle in Luzern
Am 1. Juli hat der Verein Palliativ Luzern eine Informations- und Beratungsstelle an der Meyerstrasse 20 in Luzern eröffnet. Diese orientiert über vorhandene Angebote und vernetzt Betroffene, Angehörige, Fachpersonen und Institutionen, damit die Übergänge von zu Hause ins Spital, vom Spital ins Pflegeheim oder zurück nach Hause besser gelingen. Sie fördert Weiter- und Fortbildungen und sensibilisiert über Probleme der Palliative Care. Ferner gibt sie Auskunft zu Fragen wie diesen: Gibt es eine Palliativstation in meiner Nähe? Wo finde ich einen Schmerztherapie-Dienst? Welche Unterstützung ist zu Hause möglich? Wo finde ich ein Pflegebett zum Mieten? Wie kann ich meine Wünsche für das Lebensende in einer Patientenverfügung verbindlich festhalten?
Am Samstag fand der internationale Hospiz- und Palliative Care- Tag statt. An diesem informierte die neue Informationsstelle über das Angebot im Kanton.
Autor: David Koller
Willisauer Bote vom 15.10.2013