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«Krebs – ich war schockiert und völlig fassungslos»

Luzerner Zeitung: Eierstockkrebs macht sich oft erst in einem fortgeschrittenen Stadium bemerkbar. Manchmal hilft der Zufall, manchmal rasches Handeln. Zwei Luzernerinnen erzählen ihre Geschichte.
12. März 2017
Lesezeit: 7 Minuten
Die Therapie von gynäkologischen Tumoren führt häufig zu Problemen, die jegliche Funktionen im Becken und Bauchraum der betroffenen Frau beeinträchtigen. (Bild: Getty)

Die Therapie von gynäkologischen Tumoren führt häufig zu Problemen, die jegliche Funktionen im Becken und Bauchraum der betroffenen Frau beeinträchtigen. (Bild: Getty)

Der Spruch vom Glück im Unglück wird zuweilen etwas überstrapaziert. Im Falle von Gina Salis* passt er aber sehr gut. Die 44-jährige Personalfachfrau aus der Region Luzern plante im Spätsommer 2015 mit ihrer Familie eine Camper-Reise durch Kanada. Doch da war noch dieses Myom am rechten Eileiter, das die Frauenärztin bei einem Ultraschall-Untersuch entdeckt hatte. Ein Myom ist eine gutartige Geschwulst. Sie ist nicht lebensbedrohlich, kann aber allerlei ­Beschwerden verursachen. Die Vorstellung, in Kanada zu sein und von Schmerzen oder anderem Ungemach geplagt zu werden, war der Frau nicht geheuer.

Als der Chefarzt ins Behandlungszimmer kam

Also raus mit dem Myom. Es wurde ihr im Luzerner Kantonsspital entfernt. Ein Routineeingriff. Als es Tage später darum ging, die Fäden ambulant zu entfernen, war ein Oberarzt im Behandlungszimmer. «Für so etwas braucht’s doch keinen Oberarzt», dachte Gina Salis. Als auch noch der Chefarzt der Frauenklinik hinzutrat, schwante der allgemein versicherten Patientin nichts Gutes.

«Sie haben Krebs», wurde ihre ohne Umschweife eröffnet, mit dem im ersten Moment kaum beruhigenden Zusatz: «Aber wir haben ihn herausoperiert.»

Auch wenn Krebs längst nicht immer ein Todesurteil ist, löst diese Diagnose stets riesige Angst aus. Existenzangst. Alles ist mit einem Schlag in Frage gestellt. «Ich stand auf dem Schlauch und war in einem ­absoluten Ausnahmezustand», erinnert sich Gina Salis. Bei der Entfernung ihres Myoms war im rechten Eierstock auch ein bösartiger Tumor entdeckt worden. Er war noch recht klein. Bis er sich bemerkbar gemacht hätte, wäre noch einige Zeit vergangen. Zeit, in welcher der Krebs weitergewuchert und vielleicht Metastasen gestreut hätte.

Das Myom war so gesehen ein Glücksfall. Der Krebs konnte restlos operiert werden, nicht einmal eine Chemotherapie musste Gina über sich ergehen lassen. «Ich durfte in dieser belastenden Zeit auf eine grosse Unterstützung zählen, das soziale Netzwerk hat weit über die Familie bestens funktioniert.» Ihr Mann war immer an ihrer Seite. Die beiden noch nicht schulpflichtigen Kinder konnten die ­Dimension der Krankheit zwar nicht ermessen, gaben der Mama aber einfach durch ihre Präsenz viel Halt. Der war auch weiterhin nötig, denn zum Glück im Unglück gesellte sich dann doch ­wieder Unheil hinzu.

Vorerst hiess es aber: jetzt erst recht – ab nach Kanada! «Es war eine wunderbare Zeit», schwärmt Gina. Wieder zu Hause wurden ihr in einer grossen Operation als Vorsichtsmassnahme der zweite Eierstock sowie Gebärmutter und Blinddarm und einige Lymphknoten entfernt. «Ich habe mich davon rasch und gut erholt, doch am Tag der geplanten Entlassung aus dem Spital hatte ich wie aus heiterem Himmel ex­treme Schmerzen im Unterbauch.»

Komplikation erforderte fünf weitere Operationen

Ursache war Urin, der durch ein Loch im Harnleiter in den frisch operierten Bauch floss. Der Harnleiter war durch die OP in Mitleidenschaft gezogen worden. «Ich mache dem Spital keine Vorwürfe, das Risiko einer Komplikation während und nach einer ­Operation ist immer vorhanden», sagt Gina Salis. Hart sei es gleichwohl, wenn es einen treffe.

Bis zur heutigen Abgeklärtheit machte sie eine ziemliche Tortur durch. Jeden zweiten Tag ging es ins Spital. Man hoffte, dass das Loch von allein wieder zuwachsen würde. Katheter um Katheter wurde ­gesetzt. «Ich hatte eine Zeit lang zwei Nierenkatheter, damit der Urin direkt abfliessen konnte. Die Beutel wurden an den Oberschenkel befestigt. Meine Kinder fanden das sehr lustig, ich weniger», sagt Gina Salis.

Heute kann sie jener Zeit, in der sie nach eigenen Worten «nicht ganz dicht» war, auch wieder heitere Seiten abgewinnen. Bis es aber so weit war, musste sie fünf weitere Operationen über sich ergehen lassen. «Als ich endlich wieder auf dem WC sitzen und wie früher urinieren konnte, war ich der wohl glücklichste Mensch auf Erden.»

Die Sache mit dem Harnleiter hat den Tumor in den Hintergrund gerückt. Vergessen ist er nicht: «Weil ein Rückfall nicht auszuschliessen ist, werde ich engmaschigen Kontrollen unterzogen.» Alles in allem ist aber wieder Normalität ins Leben von Gina Salis zurückgekehrt. Sie hat eine neue Stelle antreten können. Am alten Ort war ihr wegen der vielen krankheitsbedingten Absenzen gekündigt worden, «aber der Arbeit­geber hat sich fair verhalten, ich war noch nicht lange dabei, und man wusste anfänglich ja nicht, ob ich wieder gesund würde.»

Was gute Gesundheit wert ist, ist Gina Salis heute verstärkt im Bewusstsein. «Nein», sagt sie, «ich habe mein Leben nicht ­radikal umgestellt, ich bin einfach sehr dankbar, dass der Krebs so früh entdeckt und entfernt werden konnte ...» Und gelassener sei sie geworden: «Ich rege mich nicht mehr auf Vorrat auf wie früher. Oft kommt ohnehin alles anders, als man meint.»

Patrizias Geschichte: Familiäre Vorbelastung

Gut ein Jahr ist es her, seit sich bei der damals 37-jährigen Patrizia Gentile* ungewohnte Bauchschmerzen, Verdauungsstörungen und Fieberphasen bemerkbar machten. Als Pflegefachfrau beunruhigten sie diese Symptome, denn da war auch noch die Geschichte mit ihrer Mutter. Sie ist relativ jung gestorben. Mit 47 Jahren, an Eierstockkrebs.

Familiäre Vorbelastung erhöht das Risiko für ein Ovarialkarzinom. «Man hofft ja immer, dass es einen nicht trifft und dass Beschwerden eine harmlose Ursache haben», sagt die Luzernerin. Aber leider bestätigten sich in ihrem Fall die schlimmsten Befürchtungen. Bereits ein CT hatte den begründeten Verdacht ergeben, letzte Gewissheit brachte eine Gewebeprobe: Eierstockkrebs. «Ich war schockiert und absolut fassungslos.»

In einer achteinhalbstündigen Operation wurden der Frau Gebärmutter und Eierstöcke aus dem Unterleib entfernt, ebenso ein Stück Darm. «Eine Zeit lang hatte ich einen künstlichen Darmausgang.» Der Überlebenswille hilft, auch eine solche Einschränkung besser hinzunehmen. Es bleibt ja auch kaum etwas anderes übrig. «Als ich nach zehn Tagen im Spital nach Hause kam, bin ich unter die Dusche und habe mit dem lieben Gott gesprochen», sagt Patrizia Gentile. Sie habe ihm g­e­sagt, dass sie klaglos «den ganzen Scheiss» mitmachen würde – aber sie wolle nicht sterben.

«Vertrauen in die Fachleute ist extrem wichtig»

Patrizia hat eine erfrischend ­direkte Art. Vor der grossen OP im Luzerner Kantonsspital habe sie den Arzt gefragt, ob er gut sei und etwas könne. Denn: «Ich will den Besten.» Den Fachleuten vertrauen zu können, sei extrem wichtig. Dieses Vertrauen ist nicht enttäuscht worden. «Obwohl ich nur all­gemein versichert bin, fühlte ich mich immer bestens aufgehoben, nach der OP auch in der Onkologie, der Psychoonkologie und vor ­allem auch in der Stoma-Beratung.»

Der bei ihr entfernte bösartige ­Tumor war recht aggressiver Art. Aber ­immerhin, er konnte ganz entfernt werden, und es waren – was ein Zeichen von weiterer Ausbreitung wäre – keine Lymphknoten betroffen. Acht Zyklen happiger Chemotherapie musste sich Patrizia Gentile gleichwohl unterziehen. Sie hat sie gut vertragen, ist während der Chemo sogar zehn Tage nach Irland gereist. Dass ihr die Haare ausgefallen sind, war unvermeidlich. «Ich hatte zwar eine Perücke, habe mich aber auch nicht geniert, mit Glatze herumzulaufen.» Blicke lernt man er­tragen. Bange oder manchmal auch ­blöde Fragen der Mitmenschen auch.

Patrizia Gentile ist alleinstehend, hat aber neben zwei Brüdern viele gute Freundinnen und Freunde, die sie unterstützen. «Viele Kontakte haben sich während der Krankheit vertieft, nur zu einigen hat sich das Verhältnis etwas abgekühlt, aber das ist normal, es ist nicht jedermanns Sache, mit einer krebskranken Frau ein unbeschwertes Gespräch zu führen.»

Zwei Körpertherapien als zusätzliche Unterstützung

Neben vielen Mitmenschen haben ihr auch zwei Körpertherapien geholfen, die sie begleitend zur Chemo in Anspruch nahm und für ein gutes Körpergefühl auch weiterhin pflegt: Cantienica und Shibashi («18 Übungen in Harmonie»). Sie könne beides nur weiterempfehlen, auch wenn sie wisse, dass jede betroffene Frau ihren eigenen, für sie passenden Weg aus jenem Loch finden müsse, das wohl mit jeder Krebserkrankung einhergehe. Auch bei Patrizia Gentile, die bei unserem Treffen sehr aufgestellt und selbstsicher wirkt, aber nicht verschweigt, auch ab und zu ihre Krisen zu haben. «Ich werde dann manchmal verbal recht aggro.»

Der Krebs war ein radikaler Einschnitt in ihrem Leben. Kinder kriegen ist nicht mehr möglich. «Das muss ich akzeptieren, wie so vieles andere auch.» Aber man könne trotz dieser Krankheit, von der man nie wissen könne, ob sie sich wieder mal bemerkbar macht, «seine Tage mit Leben füllen». Ehe Patrizia Gentile jetzt in einem kleinen Pensum wieder als Anästhesieschwester zu arbeiten begonnen hat, gab es für sie ausser für Therapien und Untersuchungen viel, viel freie Zeit – «und es ist mir nicht ­einen Tag langweilig gewesen». Unter anderem hat sie viel fotografiert – ihr künstlerisches Hobby.

Und was ist anders als früher? «Ich mache mir nicht mehr so viele Gedanken über Kleinigkeiten und denke auch nicht mehr so viel über die Zukunft nach wie auch schon», sagt Patrizia. «Ich lebe. Heute, hier, jetzt. Und morgen schauen wir wieder weiter.»

Hinweis

* Die Namen der beiden Frauen wurden von der Redaktion geändert.

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