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LUKS-Unfallchirurg Sascha Rausch leistete medizinischen Einsatz in Entwicklungsland

Wie kann gute Unfallchirurgie bei limitierten Ressourcen betrieben werden? Mit dieser Frage war Sascha Rausch während des Einsatzes in Somaliland dauernd konfrontiert. Die teilweise Ablehnung der empfohlenen Behandlung stellte ein weiteres Problem dar. Trotzdem sind die gemachten Erfahrungen von unschätzbarem Wert.
15. September 2023
Lesezeit: 4 Minuten
Dr. med. Sascha Rausch ist nach seinem Einsatz zurück am Luzerner Kantonsspital.
PD Dr. med. Sascha Rausch ist nach seinem Einsatz zurück am Luzerner Kantonsspital.

PD Dr. med. Sascha Rausch, Leitender Arzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Luzerner Kantonsspital (LUKS), kennt herausfordernde Situationen aus dem Spitalalltag. Was er jedoch während seines humanitären Einsatzes in Somaliland erlebt hat, war auch für ihn völlig neu.

Im Juni dieses Jahres half er in einem chirurgischen Hilfsprojekt am Hargeisa Group Hospital mit. Das langfristige Ziel der von der AN-NYA-Foundation (Dr. Peter Nussbaumer) ermöglichten Mission ist die Ausbildung chirurgischer Fachärzt/-innen vor Ort. Ob damit die anspruchsvolle Patientenversorgung künftig sichergestellt werden kann, hängt von vielen weiteren Faktoren ab.

Sascha Rausch, wie haben Sie die Situation vor Ort erlebt?

Die Sicherheitslage vor Ort ist angespannt und unter ständiger Polizeikontrolle. Somaliland ist eine autonome Region, die völkerrechtlich zu Somalia gehört. Es herrschte in den 90-er Jahren Bürgerkrieg und insbesondere entlang der Grenze entlädt sich der Konflikt immer wieder. Während seines Einsatzes war er im Hargeisa Group Hospital tätig. Das grösste öffentliche Spital in Somaliland wurde 1953 gegründet und umfasst zirka 400 Betten. Aufgrund von wiederkehrenden Kampfhandlungen vermehrt sich das Patientenaufkommen, und Kriegsverletzungen mit offenen Frakturen gehören zum Alltag.

Wie muss man sich ein solches Spital in Ostafrika vorstellen?

Die mangelhafte Hygienesituation löste grosses Unbehagen in mir aus. Die Teams operieren ohne Händedesinfektion. Muss die Haut desinfiziert werden, steht kein Alkohol zur Verfügung und Abdeckungstücher sind wasserdurchlässig. Das Einbringen eines Implantats unter derartigen Bedingungen birgt immer das Risiko einer Infektion. Helfe ich diesen Menschen wirklich? Diese grundsätzliche Frage stellt sich vor allem bei den Osteosyntheseverfahren, also den Operationen zur Behandlung von Knochenbrüchen.

So sieht eine Männerstation im Spital in Somaliland aus (Bild: Sascha Rausch)
So sieht eine Männerstation im Spital in Somaliland aus (Bild: Sascha Rausch)

Gab es weitere Herausforderungen, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?

Ein sehr schwieriges Thema sind Amputationen. Bei schweren Verletzungen bleibt nur der Ausweg der Amputation von Arm oder Bein. Trotz klarer chirurgischer Indikationen weigern sich Patienten und deren Angehörige vehement dagegen, selbst wenn dadurch das eigene Leben oder jenes der Angehörigen in Gefahr gebracht wird. Man muss wissen, dass Somaliland streng muslimisch ist. Für die Menschen zählt nur ein Gedanke: Sie wollen vollständig vor Allah erscheinen, um so den Eintritt ins Paradies zu erlangen. In einem derartigen Umfeld mit begrenzten Ressourcen «gute» Chirurgie zu gewährleisten, ist eine echte Herausforderung.

Wie haben Sie die Menschen in Somaliland wahrgenommen?

Die Religion, respektive Staatsreligion, spielt sicherlich eine sehr dominante Rolle. Andere Religionen sind nicht erlaubt. Die Frauen fahren mit dem Auto und sind im Berufsleben integriert - sie sind jedoch verpflichtet, ihr Haar zu bedecken. Verhütung ist verboten und die Sterberate der Mütter und Kinder um die Geburt ist eine der höchsten der Welt. Die Region ist auf Hilfe von aussen angewiesen. Die Menschen sind jedoch freundlich und offen, sind stolz auf das bereits Erreichte und ihr Land und hoffen auf eine positive Entwicklung in der nahen Zukunft. Viele einst Geflüchtete kehren zurück und bringen ihre Erfahrungen aus dem Ausland mit, um den Aufbau des Landes zu unterstützen. Tief beeindruckt hat mich die Geduld der Patientinnen und Patienten hinsichtlich ihrer oft sehr langwierigen Genesung und die Dankbarkeit gegenüber den Pflegerinnen und Pflegern und dem ärztlichen Personal.

Zurück ins Spital: Was konnten Sie dem Personal vor Ort mitgeben?

Das war die intensive Schulung des gesamten Personals im Umgang mit offenen Frakturen mit deutlich begrenzten Ressourcen. Ich begleitete das Team vor Ort im Operationssaal, bei den täglichen Visiten und in der Sprechstunde. Zudem gab es ein Angebot an Vorlesungen zu spezifischen Themen, welche rege besucht wurden. Eine Schulung in hygienischen Grundregeln gehörte hier genauso dazu wie zum Beispiel die korrekte Einlage und Pflege einer Thoraxdrainage oder die Überwachung von Patientinnen und Patienten auf der Intensivstation.

Wie lautet ihr persönliches Fazit?

Ein gegenseitiges Kennenlernen und Akzeptieren der jeweiligen Vorstellungen des anderen sind Voraussetzungen für ein Gelingen eines solchen Vorhabens ebenso wie langfristiges Engagement und das gemeinsame Lernen im Projekt. Ich hoffe, ich konnte dem Spital nachhaltiges Wissen vermitteln. Die Zielvorgabe am Horizont ist, dass die Ärzte vor Ort einen international anerkannten Abschluss einer chirurgischen Ausbildung absolvieren können. Ein wesentlicher Faktor zum Gelingen ist mit Sicherheit die politische Stabilität in der Region.

Was nehmen Sie mit aus dem Einsatz mit für Ihre Tätigkeit im LUKS?

Ich habe unschätzbare Erfahrungen in der Behandlung von Verletzungen gewonnen, die hier selten sind. Zum Beispiel Schussverletzungen. Der Umgang mit den limitierten Ressourcen und den vorherrschenden Problemen führt vor Augen, wie privilegiert wir in unserem Spitalalltag sind. Ich bin auch der Klinikleitung dankbar, dass ich dank unbezahlter Ferien den Einsatz über meine Freizeit hinaus verlängern konnte.

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