«Begleitung ein Leben lang – das ist nachhaltige Medizin»

«Unsere Patientinnen und Patienten gelten weitgehend als geheilt», sagt Plüss. «Die meist gravierenden Therapien, die zur Heilung führten wie Chemotherapien, Bestrahlungen oder Operationen können jedoch im Laufe der Zeit zu Langzeitfolgen und Spätfolgen führen.» Diese seien unterschiedlicher Natur und können alle Organe betreffen (z.B. Gehör, Augen, Niere, Herz). Auch endokrine Funktionsstörungen können auftreten, was zu vermindertem Wachstum, verzögerter Pubertätsentwicklung bis hin zur Unfruchtbarkeit führen kann. Zudem besteht die Gefahr von Tumorrezidiven oder neuartigen Zweittumoren. Nicht zu vergessen seien auch seelische, soziale und wirtschaftliche Folgeprobleme. «Entsprechend interdisziplinär ist die CCS-Sprechstunde organisiert», sagt Plüss.
Verschiedene kinderonkologische Gruppen – darunter auch die Childrens Oncology Group (COG) – entwickeln laufend evidenzbasierte Richtlinien zur lebenslangen Nachsorge für Kinderkrebsüberlebende. «Aufgrund dieser Daten erstellen wir für alle Patientinnen und Patienten einen individuellen, personalisierten Nachsorgeplan», erklärt Plüss. Dieser «Passport for Care®» wird massgeblich durch das Krebsleiden und die Therapien geprägt. «Er hilft, frühzeitig mögliche Spätfolgen zu erkennen und rechtzeitig eine Behandlung einzuleiten.»
Ganzheitliche Behandlung
Das Arbeiten mit einem Nachsorgeplan hat sich international als Best-Practice durchgesetzt und wird auch am LUKS angewendet. «Jeder Survivor bekommt bei uns seinen Nachsorgeplan ausgehändigt. Er findet darin wichtige Informationen zu seinem damaligen Krebsleiden und der onkologischen Therapie, eine Zusammenstellung der möglichen Langzeitfolgen, die empfohlenen Nachsorgeuntersuchungen und vorbeugende Gesundheitstipps» hält Plüss fest. «Diese Informationen, aber auch mein stetes Hinweisen, dass es in erster Linie darum geht, die Gesundheit zu bewahren und nicht die Folgeprobleme zu unterstreichen, helfen den Survivor Stress und Ängste besser bewältigen zu können.»
Die Survivor sind dankbar, wenn jemand medizinisch die Fäden in den Händen hält.
Dr. med. Sacha Plüss
Dass die Sprechstunde in der Inneren Medizin – und nicht wie in vielen anderen Spitälern in der Onkologie/Hämatologie – angesiedelt ist, erachtet Plüss als grossen Vorteil, da Spätfolgen meist internistischer Natur seien. Die Sprechstunde fokussiert jedoch nicht nur auf körperliche Probleme. Auch psychische, soziale, finanzielle, rechtliche und spirituelle Themen werden behandelt. «Mich fasziniert diese Ganzheitlichkeit», sagt Plüss. «Ich habe öfters nicht nur interdisziplinären, sondern auch interprofessionellen Kontakt», erklärt er. Das können Psycholog/-innen, Sozialarbeiter/-innen, Jurist/-innen, Lehrer-/innen oder Arbeitgeber der Survivor sein. Mittlerweile behandelt das LUKS über 40 Betroffene. «Die Nachfrage seitens der Survivor ist definitiv da», sagt Plüss, «sie sind dankbar, wenn jemand medizinisch die Fäden in den Händen hält.»
«Alle tragen einen Rucksack»
Wie ist die Zusammenarbeit mit jungen Menschen, die Krebs überlebt haben? «Spannende Frage», entgegnet Plüss, «aber schwierig zu beantworten, weil der Umgang mit der Erkrankung und die Verarbeitung sehr individuell sind.» Es gäbe solche, die bei einer Nachbehandlung überängstlich seien, dass etwas Neues diagnostiziert werden könnte. Andere seien einfach enorm glücklich und dankbar, dass sie ihre Krebserkrankung überstanden hätten und sehen die gezielten Nachsorge-Untersuchungen als Teil der Verarbeitung. Und dann gäbe es auch solche (v.a. Teenager), die einen eher risikoreichen Lebensstil entwickeln würden. «Dieses sogenannte ‹risky behaviour› ist ein bekanntes Phänomen und wird in der Sprechstunde auch thematisiert», erklärt Plüss.
«Mich beeindrucken die Lebenswege der jungen Menschen mit ihren Erfahrungen und ihre Energie, die sie an den Tag legen», sagt Plüss. Survivor seien oftmals sehr zielorientiert unterwegs. «Sie wissen, was sie wollen und was nicht.» Das gelte etwa im Beruf, wo nicht selten auch ein Beruf im medizinischen Umfeld zum Thema werde. Oder auch bezüglich Partner- oder Familienwunsch. «Auch diese Fragen treiben unsere jungen Patientinnen und Patienten um, denn sie tragen auch in dieser Beziehung ihren Rucksack mit sich.»
Leuchtturmprojekt für nachhaltige Krebsversorgung
Eine Studie von «All.Can», eine Organisation, welche die Versorgung von Krebspatient/-innen verbessern will, hat sich mit Angeboten für eine nachhaltige und bedarfsgerechte Krebsversorgung auseinandergesetzt. Die CCS-Sprechstunde des LUKS wird dabei als Leuchtturmprojekt gewürdigt. Sacha Plüss freut sich: «Wir machen vieles richtig. In den Spitälern hat generell ein Umdenken stattgefunden, dass solche Angebote notwendig sind», so Plüss. Nebst einem ökonomischen Ansatz verfolge die Sprechstunde auch soziale Aspekte.
Ökonomie und Soziales gehören nebst der Ökologie zu den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit. Sacha Plüss engagiert sich in der Nachhaltigkeitskommission des LUKS. «Unsere Sprechstunde ist ein sehr gutes Beispiel für nachhaltige Medizin», hält er fest. «Ich finde es auch persönlich wichtig, dass man die jungen Menschen nicht nur während der Krebsbehandlung sondern auch danach begleitet», sagt er. «So stelle ich mir den Arztberuf vor. Und ich bin auch überzeugt, dass wir mit dem Spätfolgen-Versorgungsangebot kostendämpfend arbeiten, weil künftige Spitalaufenthalte vermieden werden können.»
Strategie
Spezialisten
Fachbereiche
