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Der neue Lebensabschnitt ist für mich wieder ein Projekt

Ars Medici -Trotz Pensionierung war das Aufhören von einem Tag auf den anderen für Prof. Reto Babst, bis Ende Mai Chefarzt Unfallchirurgie am Luzerner Kantonsspital, keine Option. Die Devise ist, das berufliche Leben langsam ab- und das neue Leben aufzubauen.
22. November 2019
Lesezeit: 7 Minuten
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Interview mit Prof. Dr. Reto Babst, Luzerner Kantonsspital

Herr Professor Babst, Sie wurden im Mai pensioniert. Wie ist Ihnen zumute?

Prof. Dr. med. Reto Babst: Weniger termingetrieben unterwegs zu sein, mehr Zeit für mich selbst zu haben, neue Horizonte aufzutun, weiterzuentwickeln und vertieft angehen zu können, das macht mir eigentlich Freude. Andererseits ist ein wichtiger Teil meines Lebens weggefallen. Ich meine nicht nur die Struktur, sondern auch den Kontakt und die Auseinandersetzung mit meinen Mitarbeitenden. Ich bringe immer das Beispiel: Ich weiss nicht, was es bedeutet, Vater zu sein, bis ich mein Kind in den Händen habe. Viele Dinge waren bis jetzt einfach gegeben, ohne dass ich mich darum kümmern musste. Im neuen Lebensabschnitt muss ich selbst dafür sorgen. 

Ein Chefarzt soll zwar ein Alphatier sein, deshalb wählt man ihn auch. Diesen dann zu «domestizieren» und auf ein Ziel hinzuführen, ist aber nicht immer ganz einfach.

Sie waren neben Ihrer Tätigkeit als Chefarzt Unfallchirurgie auch Departementsleiter Chirurgie und Mitglied der Geschäftsleitung am Luzerner Kantonsspital. Welche Aufgabe hat Sie am meisten gefordert?

Babst: Sicher die Aufgabe als Departementsleiter. Die Chirurgie umfasst 12 Kliniken beziehungsweise Abteilungen. Das heisst 12 Königreiche mit 12 Chefärzten, von denen jeder seine eigenen Vorstellungen und Ideen hat. Als Departementsleiter war es meine Aufgabe, innerhalb des gesetzten Rahmens die Voraussetzungen zu schaffen, dass die Kliniken optimal arbeiten können. Gleichzeitig war ich als Mitglied der Geschäftsleitung für den Gesamterfolg des Unternehmens mitverantwortlich. Aus diesem Grund habe ich manchmal Dinge umsetzen wollen oder müssen, die nicht für jeden nachvollziehbar waren. Der eine oder andere hatte das Gefühl, ich sei vielmehr ein Ökonom und nicht mehr Mediziner. Das hat zu Spannungen und Reibungen geführt. Ein Chefarzt soll zwar ein Alphatier sein, und deshalb wählt man ihn ja auch. Diesen dann zu «domestizieren» und auf ein Ziel hinzuführen, ist aber nicht immer ganz einfach. 

Sie haben gesagt, dass Sie nach der Pensionierung Ihre Zeit nicht nur mit Ihren Enkelkindern und sportlichen Aktivitäten verbringen möchten. Was steht auf Ihrem neuen Programm?

Babst: Ich bin auch weiterhin in Teilzeit am LUKS tätig. Im Rahmen des Joint Medical Masters habe ich die Koordination des Lehrkörpers und der Studenten hier am LUKS übernommen. Der «Luzerner Track» wird seit dem Herbstsemester 2017 angeboten. In den ersten drei Jahren sind die Studenten an der Universität Zürich eingeschrieben, im vierten, fünften und voraussichtlich auch im letzten Jahr an der Universität Luzern. Ich organisiere die Kurse und bin in der Lehre tätig. Daneben stehe ich der Klinik als Senior Consultant bei komplexen Fällen zur Verfügung und assistiere an einem Tag in der Woche im Operationssaal. Das ist für mich auch deshalb wichtig, weil ich als Chairman Education Europa und Südafrika der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen (AO) über die operative Frakturbehandlung nicht nur theoretisch reden will: Ich möchte aktiv an der chirurgischen Problemlösung beteiligt sein. Das Skills Lab am LUKS, ein Simulationszentrum, in dem wir Workshops und Schulungen an anatomischen Präparaten anbieten, wird ebenfalls weiter in meiner Verantwortung stehen. Zudem engagiere ich mich als Vizepräsident der Stiftung Schweizer Chirurgen für Äthiopien auch in Zukunft für das Reversed Fellowship in Zusammenarbeit mit der Universität Jimma im Südosten von Äthiopien. Seit Mitte dieses Jahres entsenden wir ein bis zwei Jahre lang jeweils für die Dauer von drei Monaten einen Chirurgen auf Facharztniveau (Oberarzt) in das örtliche Traumazentrum. Dieser wird in den ersten ein bis zwei Wochen von einem Spezialisten, der schon einmal vor Ort tätig war, begleitet und eingeführt. Das Ziel ist einerseits, die Ärzte in Jimma zu unterstützen und Know-how weiterzugeben. Andererseits lernen unsere Ärzte Basischirurgie unter sehr beschränkten Ressourcen. Das ist eine sehr wertvolle Erfahrung.

Was reizt Sie an Ihren neuen Aufgaben?

Babst: Allen gemeinsam und für mich reizvoll ist, dass ich mein Wissen und meine Erfahrung weitergeben kann, mit dem Ziel, die Leute zu befähigen, ihre Arbeit als Chirurgen gut zu machen. Für mich gibt es nichts Schöneres. Das ist das, was ich geben kann und was letzlich von mir übrig bleibt. Ich empfinde eine grosse Erfüllung, wenn ich meinen Assistenten oder auch den fortgeschrittenen Kollegen assistieren kann. Es ist etwas anderes, wenn man jemanden coacht, als wenn man sagt: «Komm, ich zeige dir was», und am Ende die ganze Operation selbst macht. Das ist das, was mir in meiner Ausbildung gelegentlich gefehlt hat: Jemand, der seine Erfahrung weitergeben will.

Sie waren als Gesamtleiter ad interim der Kliniken für Unfallchirurgie und Orthopädie vor der Pensionierung nochmal richtig gefordert. Reut es Sie nicht, dass nun ein anderer Ihren Platz eingenommen hat?

Babst: Nein, das stimmt für mich. Es ist besser zu gehen, wenn die Leute den Abschied nicht so toll finden, als wenn sie sagen: «Jetzt sollte er wirklich gehen, es reicht. »Es macht mir Spass, noch ein bisschen von meiner Erfahrung weiterzugeben, aber dafür muss man nicht an der Front tätig sein. Ich diskutiere mit den Kollegen anhand der Röntgenbilder die Behandlungsstrategien und assistiere ihnen bei Operationen. Ansonsten bin ich nicht mehr an der Klinik tätig. Ich finde das auch heikel. Das Ziel ist, mein anderes Leben aufzubauen und das berufliche langsam abzubauen. Wie lange ich das mache, weiss ich nicht. Aber ich kann nicht einfach von einem Tag auf den anderen aufhören. 

Es macht mir Spass, noch ein bisschen von meiner Erfahrung weiterzugeben, aber dafür muss man nicht an der Front tätig sein.

Was halten Sie davon, dass man per Gesetz mit 65 Jahren aufhören muss zu arbeiten?

Babst: Ich halte das für eine Verschwendung von Ressourcen. Überall wird geschrieben, man solle das Know-how kultivieren, und dann werfen wir das Wissen und die Erfahrung einfach so weg, nur weil ein gewisses Alter erreicht ist. Man muss ja nicht bis zum Schluss in der Führung tätig sein. Eine Möglichkeit wäre, dass man wie in den angloamerikanischen Systemen ab einem gewissen Alter nur noch für das Coaching jüngerer Führungskräfte zuständig ist. Damit könnte man eventuell schon früher anfangen, beispielsweise mit Ende fünfzig oder Anfang sechzig. Man müsste dann halt auch bereit sein, weniger zu verdienen. Bis jetzt reden alle nur davon, dass sich etwas ändern muss. Passiert ist aber noch nicht wahnsinnig viel. 

Ab welchem Zeitpunkt haben Sie sich Gedanken gemacht oder konkret geplant, womit Sie Ihre Zeit im Ruhestand verbringen?

Babst: Damit beschäftige ich mich sicher schon seit zwei bis drei Jahren. Ich habe erlebt, wie mein Vater von einem Tag auf den anderen aufhören musste zu arbeiten. Er hat danach völlig den Boden unter den Füssen verloren und fast zwei Jahre gebraucht, bis er wieder auf den Beinen war. Das hat mich sehr geprägt, und ich wünsche mir so etwas wirklich nicht.

Das Wichtigste ist, das Thema Pensionierung nicht zu verdrängen. Der Zeitpunkt kommt.

Was wäre eine Alternative gewesen?

Babst: Als ich in mein Berufsleben startete, wollte ich Mediziner werden. Und wenn das nicht geht, Schreiner oder Künstler, denn ich habe immer gern gezeichnet. Aber es ist nicht so, dass ich jetzt in die Toskana gehen kann, um Aquarelle zu malen. Was ich mache, will ich können. Ich habe aber nicht die Geduld, um mir die Zeit zu nehmen, die ich brauche, bis ich die Aquarelle male, die mir gefallen. Deshalb bleibe ich lieber bei dem, was ich kann. 

Können Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen, die bald in den Ruhestand gehen, einen Rat hinsichtlich der Zukunftsplanung geben?

Babst: Das Wichtigste ist, das Thema Pensionierung nicht zu verdrängen. Der Zeitpunkt kommt. Eigentlich fühlte ich mich nicht so, als ob ich aufhören müsste. Ich bin noch voller Ideen. Aber die Aussicht auf den nächsten Lebensabschnitt finde ich auch spannend. Für mich ist das wie ein neues Projekt. Vielleicht habe ich mir zu viele Aufgaben vorgenommen, aber abbauen kann man immer. Viele haben gesagt, wenn du pensioniert bist, kommen die Angebote. Ein anderer hat gesagt, nur was du selbst machst, passiert auch. Ich glaube, es ist wichtig, dass man selbst aktiv wird. 

Quelle: Ars Medici vom 22. November 2019
Interviewerin: Regina Scharf

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