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«Empathie und Qualität sind die alles entscheidenden Faktoren.»

Patientenhoheit ist ein schillernder Begriff – doch nicht alle verstehen das Gleiche darunter. Die Luzerner Hausärztin Dr. med. Martina Buchmann und Prof. Dr. med. Christoph Henzen, Departementsleiter Medizin am Luzerner Kantonsspital (LUKS) sind sich einig, dass das Patientenwohl und eine gute Kommunikation zwischen Zuweisern und Spezialisten in den Fokus gerückt werden sollten.
11. Dezember 2019
Lesezeit: 6 Minuten
nab-k-
«Die besten Ärzte sollten Hausärzte werden!»

Prof. Dr. med. Christoph Henzen

Was verstehen Sie unter Patientenhoheit?

Dr. med. Martina BuchmannIch habe den Begriff gegoogelt und keine wirkliche Definition gefunden...

Prof. Dr. med. Christoph Henzen: Patientenhoheit ist kein medizinischer, sondern eher ein organisatorischer oder administrativer Begriff. Alle verbinden damit etwas anderes.

MB: Der Begriff tönt toll, der Inhalt wäre aber wichtiger ...

CH: So ist es, «Kleider machen Leute». Zum Teil spiegelt der Begriff die Entwicklung vom Patienten zum «Kunden» und benennt damit auch gleich die Krux. Der kranke Mensch ist nicht mehr eine Patientin oder ein Patient, sondern eben ein Kunde. Für einen Patienten übernimmt der Arzt Verantwortung und unternimmt zu dessen Wohl das Bestmögliche. Der Kunde hingegen tritt mit einer Anspruchshaltung auf und macht so den Arzt quasi zum Verkäufer seiner Leistungen. Hippokrates sagte: «Ein guter Arzt weiss, was er machen muss, der bessere Arzt weiss, was er unterlassen soll.» Die heutige Entwicklung geht aber in eine ganz andere Richtung: Alles soll möglich sein, was die Ansprüche entsprechend schürt.

Zum Beispiel?

CH: Früher musste ich zehn Argumente vorbringen, um eine Computertomografie zu begründen. Heute muss ich mich mit zehn Argumenten rechtfertigen, wenn ich eine Computertomografie für nicht sinnvoll halte. Oder: Wenn man davon ausgeht, dass der Patient Kunde ist, dann hat er als Kunde das Anrecht auf Einsicht in sämtliche Akten. Doch ist das sinnvoll? Wenn ich mein Auto aus der Garage abhole, will ich doch keinen Bericht über sämtliche Reparaturvorgänge, sondern ich bin einfach froh, dass es wieder fährt.

MB: Nun ja, der Eine will es wissen, der Andere nicht. Sicher gibt es Dinge, die man nicht ungefiltert zur Verfügung stellen kann, zum Beispiel in der Psychiatrie. Mit Vielem kann der Patient auch gar nichts anfangen, weil es interpretationsbedürftig ist. Der informierte Patient bzw. Kunde neigt vielleicht eher zu Maximalforderungen. Die Patienten verhalten sich aber sehr unterschiedlich, da gibt es die ganze Palette von Haltungen. Die einen lassen sich gerne führen, wenn es darum geht, sich für oder gegen eine bestimmte Operation oder ein Medikament zu entscheiden. Andere kommen mit einer klaren Vorstellung, was als nächster Schritt erfolgen soll. Für uns ist es nicht immer ganz einfach zu entscheiden, wen wir wie betreuen sollen. Auf jeden Fall muss für uns wie für die Spezialisten gelten, dass wir das machen, was für den Patienten gut ist und nicht das, was medizinisch wenig bis nichts bringt, wirtschaftlich aber vielleicht sogar einträglicher wäre.

CH: Ja, das Patientenwohl sollte im Fokus unseres Handelns sein. Wir müssen uns immer fragen, was bringt dem Patienten den grössten Benefit, den grössten Nutzen. Die Grundlage dafür ist eine gute gemeinsame Kommunikationsbasis. Um dieses Fundament zu schaffen, braucht es Zeit. Wir müssen den Patienten spüren, wahrnehmen, uns Zeit nehmen. Doch gerade diese wird beschränkt. Wir können ja nur maximal 20 Minuten verrechnen. Automatisieren und Standardisieren ist gut und recht, dass Essenzielle bleibt aber das Gespräch. Gerade diese ärztliche Tätigkeit lässt sich im Gegensatz zu vielem anderen durch keinen Algorithmus ersetzen. Die leitliniengerechte Therapie ist nicht immer die Beste, wenn wir uns am Patientenwohl orientieren. Das gilt gerade auch für die Behandlung der vielen alten, multimorbiden Patienten. Doch wir agieren im Spannungsfeld von Medizin und Wirtschaftlichkeit – und die Tarifsysteme und Fallpauschalen bilden das Patientenwohl nicht ab, weil es nicht messbar ist.

Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen den hausärztlichen Zuweisern und den Spezialisten?

CH: Ihre Rollen sind komplementär, wenn das Patientenwohl im Fokus steht.

MB: Ja, genau so sollte es sein …

CH: Ein optimales Zusammenspiel ist essenziell. Die Basis dafür ist eine gut funktionierende Kommunikation. Daran müssen wir noch auf beiden Seiten arbeiten.

Wo sind die Schnittstellen zwischen Zuweisern und Spezialisten?

CH: Schnittstellen sind die Notfallkommissionssitzungen und die gemeinsame hausärztliche Notfallpraxis am LUKS, die wir in Kooperation mit der Ärztegesellschaft des Kantons betreiben. Andere Schnittstellen sind die Vereinigung Luzerner Hausärzte und der Frühlingszyklus, unser interdisziplinärer Weiter- und Fortbildungskurs. Aber es ist schon so, dass die Gefahr besteht, dass wir in verschiedenen «Bubbles» leben und uns zu wenig austauschen. Wir müssen institutionalisierte Gefässe für eine regelmässige Kommunikation, für den Austausch, für ein Miteinander schaffen, auch wenn zum Teil unterschiedliche Interessen bestehen.

MB: Es gibt ja nicht einfach den Zuweiser.

CH: Das stimmt, es ist eine extrem heterogene Gruppe. Alle arbeiten viel, ihre Zeit ist knapp bemessen. Wir sollten uns aber trotzdem mehr Zeit nehmen – auch für Unproduktives. Ich bin überzeugt, dass daraus mittel- und langfristig ein wertvoller «Return» resultiert.

Wie läuft die Zusammenarbeit zwischen Zuweisern und Spezialisten?

MB: Der elektronische Austausch untereinander ist heute natürlich einfacher. Allerdings wird diese Möglichkeit sehr unterschiedlich gehandhabt. Oft läuft das rasch und problemlos, manchmal herrscht aber auch Funkstille und man hört gar nichts von der anderen Seite.

CH: Auch hier: Kommunikation, man muss miteinander reden! Die Spezialisten leben in ihrem Zentrums- oder Unispital nicht mehr im Elfenbeinturm. Diese Zeiten sind vorbei. Miteinander in den Dialog zu treten, ist ganz entscheidend. Nur so entsteht eine Vertrauensbasis, auf der man zusammenarbeiten kann. In Sachen Kommunikation sehe ich im Gesundheitswesen noch einigen Nachholbedarf. Um etwas erreichen zu können, braucht es alle an einem Tisch. Das gilt auch im grossen Ganzen. Doch es gibt in dieser Branche so viele Player, inklusive Politik, Versicherungen, Nahrungsmittelindustrie, deren Lobbyisten und so weiter, dass gemeinsame Lösungen extrem schwierig sind.

«Volle Transparenz kann auch psychisch belasten. Es ist oft schwierig zu entscheiden: Wer kann damit umgehen, wer nicht?»

Dr. med. Martina Buchmann

nab-k-

Nochmals zurück zum elektronischen Austausch untereinander: Davon profitieren doch auch die Patienten…

MB: Ja, bis zu einem gewissen Grad. Die vielen zur Verfügung gestellten Daten können aber auch problematisch sein. Vieles ist für einen Laien schwer verständlich und kann verunsichernd wirken. Das Meiste in Untersuchungsberichten und auf Laborblättern ist erklärungsbedürftig. Oft würde es mehr bringen, wenn man einen Wert als «gut» bezeichnen könnte, anstatt über eine irrelevante Stelle hinter dem Komma diskutieren zu müssen.

CH: Ja genau, zu viel Information generiert Unsicherheit. Doch man will heute überall die volle Transparenz und schafft dadurch das gläserne Spital, die gläserne Sprechstunde, den gläsernen Patienten...

MB: Die volle Transparenz kann auch psychisch belasten. Es ist oft schwierig zu entscheiden: Wer kann damit umgehen, wer nicht?

Wodurch sollte sich ein Arzt auszeichnen?

CH: Durch Empathie und Qualität! Er muss dem kranken Menschen verpflichtet sein und gute Arbeit leisten. Das sind die alles entscheidenden Faktoren. Sie gelten für Zuweiser, Hausärzte und Spezialisten.

MB: Ja, Empathie und Qualität spielen eine grosse Rolle, sie sind wichtiger als Algorithmen.

CH: Wir müssen den jungen Ärzten diese Werte vorleben und mitgeben und auch zeigen, wie wichtig die generalistische Kompetenz und ein breites Allgemeinwissen sind. Es darf nicht sein, dass nur super technologische Eingriffe als sexy wahrgenommen werden.

MB: Der Luzerner Masterlehrgang und die Praktika in den Hausarztpraxen und Spitälern bieten da eine willkommene Chance.

CH: Die Einstellung zum Beruf ändert sich allerdings. Dazu trägt unter anderem auch die Zeiterfassung bei. Die jungen Ärzte schauen heute wie andere auch vermehrt auf eine ausgeglichene Work-Life-Balance.

Wie sehen Sie die Rolle des Hausarztes?

CH: Der Hausarzt ist eine zentrale Figur im Leben. Eine Studie zeigt, dass man mit der Wahl des Hausarztes die eigene Lebenserwartung bestimmt. Die Hausärzte sind entscheidend für die Mortalitätsstatistiken – mehr als viele Spezialisten. Ich finde, dass die besten Ärzte Hausärzte werden sollten. Ihre Arbeit ist enorm wichtig.

MB: Ja, es ist ein schöner und verantwortungsvoller Beruf.

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