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Information zum überregionalen Schweizerischen Sarkom-Netzwerk (SSN)

Der Luzerner Arzt - Information zum überregionalen Schweizerischen Sarkom-Netzwerk (SSN) von Gabriela Studer, Silvia Hofer, Thomas Treumann, Andreas Scheiwiller, Beata Bode-Lesniewska, Joachim Diebold und Bruno Fuchs.
31. Juli 2019
Lesezeit: 8 Minuten
Newsroom

1.1. heutige Situation

Die Abklärung bei Verdacht auf, bzw. die Behandlung von Patienten mit Sarkomen ist komplex. Mehr als 20% aller Sarkompatienten werden nach ungeplanter Resektion (sog. «Whoops»-Operationen) diagnostiziert – diese Ausgangssituation ist prognostisch bekanntlich ungünstig. Ein relevanter Anteil der Patienten stellt sich zudem mit einer langen Anamnese vor, im Sinne einer iatrogenen Missinterpretation der Situation über oft Jahre, mit entsprechend fortgeschrittenen Tumoren.

Eine korrekte histopathologische Diagnosestellung ist der Schlüssel zur korrekten Behandlung. Bei gegen hundert histologischen Sarkom-Subtypen ist eine präzise histologische und molekulare Diagnostik eine grosse Herausforderung für nicht spezialisierte Pathologen. Für den Kliniker ist eine präzise Sarkom-Zuordnung für das weitere Therapiemanagement essentiell. Eine rezente Studie aus den USA stellte die Frage nach der Diskordanz von Befunden nicht-spezialisierter Pathologen im Vergleich zu einem Review durch den Sarkom-Pathologen eines Sarkomzentrums mit hohen Fallzahlen. Dabei wurden folgende Kategorien definiert: 1. Konkordant (= identische Diagnose), 2. Geringe Diskordanz (= Differenz mit geringem Einfluss auf die Prognose oder Therapie), 3. Signifikante Diskordanz (= Differenz mit signifikanten Folgen auf Prognose oder Therapie). An der UCLA Los Angeles wurden im Jahr 2017 rund 1350 Patientenfälle beurteilt, davon 635 Neudiagnosen. 196 Fälle wurden von einem externen Pathologen beurteilt. 44 % (n= 87) der Fälle waren konkordant, 22% (n=43) hatten eine geringe Diskordanz und 34% (n=66) waren signifikant diskordant. Unter letzteren waren Fälle mit substanziellen Unterschieden hinsichtlich histologischem Subtyp (n=24, 36%), 35% unterschieden sich in der Beurteilung einer benigner von einer maligner Histologie, 18 % Divergenzen ergaben sich in der Einschätzung von diagnostischer von nicht-diagnostischer Histologie, 11% waren unterschiedlich im Grading. Insgesamt waren Diagnosen aus einem Resektionspräparat genauer als solche an Feinnadel- oder Stanzbiopsien. Zusammenfassend waren 56% der Diagnosen von einem nicht Sarkom-Pathologen diskrepant zur Beurteilung des Sarkom-Spezialisten, davon 34% mit signifikanter Diskrepanz. Ein Review durch einen Sarkom-Pathologen ist kritisch, sowohl für den behandelnden Arzt und seine Patienten als auch für einen Studieneinschluss von Patienten (Eckardt MA et al. Abstract 11020, Poster 343) [1].

Es besteht offensichtlicher hoher Bedarf einer Verbesserung der Abläufe. 

Qualität beinhaltet, unsere Behandlungen und deren Effekte a) zu definieren, b) zu erfassen und c) auszuwerten. Unsere aktuelle Realität ist, dass uns in der Schweiz keine Daten zur jährlichen Anzahl diagnostizierter Sarkom-Patienten vorliegen. Im Hinblick auf die Beträge, welche für personalisierte Medizin aufgebracht werden, mutet dies etwas skurril an. Bislang haben wir kein System, das es uns erlauben würde, die nach WHO definierten Sarkom-Entitäten zu erfassen (die ICD10-Codierung ermöglicht das nicht), Behandlungen zu evaluieren und zu vergleichen. 

In den letzten Jahren widmete sich eine Vielzahl von Publikationen dem Thema Spezialisierung und Behandlungsqualität – insbesondere auch der Definition von Qualität. In diversen Studien ist für Sarkom-Patienten, die an einem «Hochvolumen»-Zentrum/-Netzwerk (Definition: >/= 20 Patienten pro Jahr) behandelt wurden, ein besseres Outcome nachgewiesen [2-5]. Die Chirurgie als Hauptpfeiler der Sarkom-Behandlung ist für den Behandlungserfolg zentral; der Sarkomchirurge steht entsprechend im Fokus. In den USA führen 83% der Sarkomchirurgen 10-30 Knochensarkom-Operationen, 69% 10-50 Weichteilsarkom-Operationen pro Jahr durch [6]. Bezeichnenderweise definieren die Editoren des Journals Annals of Surgical Oncology den Surgical Oncologist nicht nur über die Operationszahlen, sondern über dessen – nebst natürlich technisches - onkologisches Verständnis, belegt durch entsprechende Aus- und Weiterbildungen [7]. Es wurde auch gezeigt, dass nicht nur die Anzahl Operationen für die Qualität entscheidend ist, sondern vielmehr, ob nach den Richtlinien der Sarkom-Chirurgie operiert wird, was wiederum mit entsprechender Aus- und Weiterbildungen einhergeht [8]. 

1.2. was tun?

Die Schweiz mit zurzeit ~8.4 Millionen Einwohnern würde nach internationalen Massstäben das Volumen für ein einziges, landesweites Sarkom-Zentrum bieten. Da dies aus diversen Gründen schwierig umzusetzen ist, fragt sich, ob es zielführend ist, mehrere solche Zentren zu unterhalten, die unabhängig voneinander mit entsprechend kleinen Volumina agieren. Auch diesbezüglich gibt es Hinweise aus der Literatur, seltene Erkrankungen in dedizierten Referenzzentren zu zentralisieren, um Multidisziplinarität, Expertise, und Zugang zu Innovation sicherzustellen [9]. Jedoch erfordert eine Zentralisierung «Health Migration» seitens der Patienten. Für die Autoren dieses Artikels ist die Netzwerkbildung die logische Antwort [10].

 Ein Netzwerk mit einem Qualitäts-Management-System (QMS) ist erforderlich, das eine zeitnahe Abklärung ermöglicht, entsprechende Patienten-Volumina erreicht, Komplexität von Diagnostik, Therapie und Nachbehandlung berücksichtigt, und Multidisziplinarität in eingespielten Abläufen gewährleistet [11]. Ein solches QMS muss per definitionem die Transparenz aller Aktivitäten der Behandelnden beinhalten, mit Online-Zugang zu Fallzahlen, Behandlungen und Qualitätsindikatoren.

Das Swiss Sarcoma Network (SSN, www.swiss-sarcoma.net) entspricht einem solchen überregionalen Netzwerkkonzept, wie oben beschrieben.

ll.  Aktueller Stand des SSN (www.swiss-sarcoma.net)

Das SSN wurde 2018 gegründet, wird von einem Trägerverein gebildet und von nationalen Institutionen geführt. Diese Institutionen haben sich vertraglich verpflichtet, die Daten all ihrer konsekutiven Sarkom-(Verdacht-)Patienten gemäss festgelegten Qualitätsindikatoren zu erfassen und transparent darzustellen. Der Verein steht grundsätzlich für alle Institutionen offen, die sich diesen Prinzipien verpflichten möchten. 

Vertragliche Mitglieder sind derzeit die Kantonsspitäler Luzern (LUKS), Winterthur (KSW), Chur (KSGR) und Bellinzona (EOC), unter Mitwirkung des Pathologiezentrum Enge, Zürich mit einer Sarkom-Referenzpathologin - weitere interessierte Zentren sind im Gespräch mit den jeweiligen Institutions-Leitungen. 

Hauptpfeiler des SSN bildet das Daten-REGISTER der Firma Adjumed (www. adjumed.ch). Adjumed betreut seit 1995 das ISO-zertifizierte Projekt AQC (Arbeitsgemeinschaft für Qualitätssicherung in der Chirurgie), das offizielle Qualitätssicherungsprojekt der Schweizerischen Gesellschaft für Chirurgie, und stellt sicher, dass alle Daten in Echtzeit analysiert und dargestellt werden. Eine Besonderheit der Datenbank stellt die Kopplung des Registers an das Management des wöchentlich stattfindenden überregionalen Sarkomboardes dar, zwecks nur einmaliger Eingabe der relevanten Fall-Daten. 

Seit 01/2019 wurden im Daten-REGISTER 171 Patienten mit insgesamt 231 Sarkomboard-Vorstellungen komplett erfasst und sind entsprechend auswertbar.

Das wöchentliche Sarkomboard findet seit 09/2017 telemedizinisch über Videokonferenz statt. Es werden alle konsekutiven Patienten der Mitglied-Institutionen bzw. an diese delegierte Fälle prä- und posttherapeutisch gemeinsam besprochen und Prozedere-Vorschläge erarbeitet. Das Forum ist allen Medizinern zugänglich/offen im Sinne einer persönlichen Teilnahme vor Ort oder via Videokonferenz.

Von Januar bis Mitte Mai 2019 wurden 120 Erstfall-Präsentationen am Board diskutiert (52% Sarkome, 34% benigne muskuloskelettale Tumoren, 14% mit anderer finaler histopathologischer Diagnose). Posttherapeutische Prozedere- und Verlaufs-Besprechungen umfassen zusätzliche 105 Präsentationen. 

Das SSN definiert SOP’s (Standard Operation Procedures) und arbeitet nach  GCP’s (Good Clinical Practice) gemäss international gültigen Richtlinien, organisiert Aus- und Weiterbildungs-Curricula- und Weiterbildungssymposien. 

Ein weiterer Pfeiler des SSN stellt das «International Advisory Board» dar. Es wird von international anerkannten Sarkom-Experten der diversen beteiligten Disziplinen gebildet. Diese stehen dem SSN für Zweitmeinungen zur Verfügung, was die bestmögliche Qualität der Therapieentscheidungen für unsere Patienten garantiert. Zusätzliche werden die Experten für Instructional Course Lectures, der Etablierung eines E-Learning Tools sowie zur Über- und Ausarbeitung der Therapie- und Abklärungs-Guidelines zur Verfügung stehen.

Erstes Ziel des SSN ist, die Fachexpertise zu diesen zu den seltenen Krankheiten gehörigen Tumor-Entitäten möglichst vielen Patienten bzw. Behandelnden verfügbar zu machen und damit suboptimale, verzögert eingeleitete Behandlungen zu minimieren, welche heute fatalerweise mindestens einem Viertel aller betroffenen Patienten wiederfährt. Dies beinhaltet Missinterpretation klinischer oder histopathologischer Befunde, substanzielle zeitliche Verzögerungen bis zu den ersten diagnostischen Schritten, nicht-onkologisches chirurgisches Vorgehen, fehlende präoperative Gewebe-Diagnostik (derzeit bei jedem 5. Patienten, Stand 2018), inkorrekte Gewebediagnostik [1], fehlende präoperative Schichtbilddiagnostik. 

lll. Informationen zum SSN für Ihren praktischen Alltag

  1.  Wer kann Mitglied werden?
    Jede medizinische Institution.
     
  2.  Was bedeutet Mitgliedschaft?
    Mitgliedschaft beinhaltet die Bereitschaft, alle konsekutiven Patienten mit einer Sarkom-Erkrankung bzw. Verdacht auf eine sarkomatöse Erkrankung prätherapeutisch gemäss unten abgebildetem  Algorithmus (Abb. 1) im gemeinsamen Tumorboard vorzustellen/vorstellen zu lassen (mit vorgängigem Patienten-Einverständnis).
    - die Daten dieser Patienten im gemeinsamen Register zu erfassen/erfassen zu lassen (mit vorgängigem Patienten-Einverständnis).
     
  3.  Wie können Sie auch als Nicht-Mitglied Ihre Patienten zur Fallbesprechung einbringen?: 
    Sie schalten sich via Videokonferenz ans Tumorboard direkt zu (Vidyo®-System; weitere Information: rebekka.ganz@ksw.ch)
    oder Sie präsentieren selber «live» an einem der Standorte LUKS/KSW/KSGRB/BELLINZONA oder Pathologie Enge (jeden Dienstag, 17-18 Uhr, weitere Information: rebekka.ganz@ ksw.ch)
    oder: Sie weisen Ihren Patienten an die Sarkom-Sprechstunde LUKS, mit dann in der Folge Fall-Präsentation durch ein ärztliches Mitglied des Sprechstunde-Teams (Kontakt LUKS: Jehona Vishaj@luks.ch)
     
  4. Wo / Wie findet das SSN-Sarkomboard LUKS statt? 
    Ort: Rapportraum 414, EG Hauptgebäude, Luzerner Kantonsspital (LUKS)
    Zeit: jeweils dienstags, 17-18 Uhr
    Wie: per Videokonferenz (Vidyo®-System; Information: rebekka.ganz@ksw.ch)

lV. Minimal work-up requirement

Die Chirurgie ist der Hauptpfeiler in der Behandlung von Weichteil-Sarkomen (WS). Die Radiotherapie hat für definierte Situationen beim WS Erwachsener  (WSE) einen langjährigen, in prospektiv randomisierten Studien mehrfach belegten Stellenwert im Sinne einer Verbesserung der Lokalkontrollrate verglichen mit der Operation alleine. Die Kombinationsbehandlung ermöglicht heutzutage den Extremitäten- und Funktionserhalt bei einem Grossteil der Patienten, mit einer Lokalkontrollrate von >90-95% trotz oft sehr grossvolumiger Tumoren. Die zusätzliche Radiotherapie reduziert die Lokalrezidivrate um ~30% (von ~70% nach alleiniger Chirurgie auf >95%) [12]. Indikationen für eine kombinierte Behandlung beim Extremitäten-WSE sind im Wesentlichen Tumoren >5cm, subfasziale Lage und/oder Nähe zum Gefäss-Nervenbündel bzw. high grade Tumoren, wobei der relative Gewinn einer zusätzlichen RT auch bei G1-2-Läsionen erhalten bleibt [13]. Primäres Ziel der präoperativen RT ist die Elimination des mikroskopischen Tumorbefalls (Sterilisierung) der Tumor-Umgebung, so dass die chirurgische Exzision zurückhaltender mit entsprechend weniger Funktionseinschränkungen erfolgen kann [13-16]. Eine Tumorverkleinerung nach RT wird – abhängig vom histologischen Sarkom-Typ (~ 80% Reduktion bei niedrig-gradigem myxoiden Liposarkom vs. <1% bei high grade Sarkomen) [17] – kaum erwartet; Patienten müssen auf dieses Faktum hingewiesen werden. Bedingung für den korrekten Entscheid einer allfälligen präoperativen Radiotherapie bzw. Chemotherapie ist die vorgängige lege artis Situations-Analyse im Sinne eines «minimal work-up requirement» (Abb.1):

laz sarkom
Abb. 1 «State of the Art»-Prozess (*): beteiligt sind folgende Disziplinen: Pathologen Weichteil- und Knochentumore, Sarkom-Chirurgen, Radio-Onkologen, Medizinische Onkologen, Radiologen mit Schwerpunkt Muskuloskelettale Radiologie, idealerweise Pädiater.

Autoren: Gabriela Studer, Silvia Hofer, Thomas Treumann, Andreas Scheiwiller, Beata Bode-Lesniewska, Joachim Diebold und Bruno Fuchs
Quelle: Der Luzerner Arzt vom Juli 2019

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