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Medizin für die Seele am Spitalbett

Eine jüngere Frau hat nach einem schweren Unfall Arm und Bein im Gips. Überwältigt vom Geschehen und gleichzeitig dankbar, noch zu leben und gut umsorgt zu sein, schaut sie völlig neu auf ihr Leben. Sie ist sehr froh, davon erzählen zu können. Es ist für sie ein Stück gemeinsame Verarbeitung vieler ganz widersprüchlicher Emotionen und gleichzeitig eine sehr berührende Begegnung für ihr Gegenüber: Susann Schüepp, seit diesem Jahr Leiterin des Seelsorgeteams am Luzerner Kantonsspital (LUKS).
14. Februar 2022
Lesezeit: 5 Minuten
Susann Schüepp

Das dankbare Strahlen in den Augen dieser Patientin bewegt Susann Schüepp ebenso wie das Erzählte. Einer von vielen Momenten in ihrem Alltag am LUKS. Sie erinnert sich auch an einen Mann, der nach einer Hirnverletzung zunächst einen bedrückend langen und ungewissen Weg vor sich sah. Es bereitete ihm Mühe, sich auf die Spitalsituation einzulassen. Doch nach und nach sah er in den Therapien mehr Fortschritte, scheinbar kleine, aber unendlich wichtige. Die Situation verlangte ihm viel Ausdauer ab. Nach mehreren Wochen hatte er praktisch all seine Fähigkeiten wiedererlangt. Ihn zu begleiten, war für Susann Schüepp ein tief gehendes Erlebnis.

«Oft genügt es Betroffenen, aussprechen zu können, was sie beschäftigt»

Zwei Beispiele aus der Arbeit des Seelsorgetams aus elf Teilzeit-Mitarbeitenden. Sie werden mehrmals pro Tag von Patientinnen und Patienten, Angehörigen oder Mitarbeitenden gerufen. Mal auch mitten in der Nacht, wenn es um ganz schwierige Situationen oder ums Abschiednehmen geht. «So ein Einsatz an einem Spitalbett kann von wenigen Minuten bis zu zwei oder drei Stunden dauern», erzählt Susann Schüepp. Und später oft noch weiter gehen. Die Themenvielfalt ist gross, die Sorgen sind sehr individuell. «Oft genügt es aber schon, wenn Betroffene sich aussprechen und teilen können, was sie beschäftigt.»

Alle Mitglieder ihres Teams haben wie sie ein Theologiestudium und eine Weiterbildung in Seelsorge und psychologischer Nothilfe absolviert. Schwierige Diagnosen, die Belastung eines langen Spitalaufenthalts, ungelöste Probleme, eine schwierige Krankheitssituation, Fragen der Familien – all das macht ihren Alltag aus. Mal will jemand ein Gebet, die Kommunion oder in erster Linie reden, jemanden zum Zuhören haben. «Wir gehen ab und zu durch die Abteilungen. Zuweilen rufen uns auch Mitarbeitende, die finden, eine Patientin oder ein Patient könnte froh um Hilfe sein. Will jemand dann unser Angebot nicht, wird das selbstverständlich respektiert.»

Sehr oft bin ich beeindruckt, wie Betroffene gerade in ganz schwierigen Momenten neue Kraft entwickeln und damit umgehen lernen.

Susann Schüepp, Leiterin Seelsorge am LUKS

Froh um den Heimweg auf dem Velo

Insbesondere Schicksalsschläge mit betroffenen Kindern, sei es als Patienten oder Angehörige, gehen Susann Schüepp nahe. «Zuweilen bin ich froh, abends mit dem Velo an der frischen Luft nach Hause fahren und im familiären Umfeld neue Energie tanken zu können.» Dann sind ganz andere Themen wie etwa die Schule präsent. «Ich versuche mich jeweils darauf zu fokussieren, was der betroffene Mensch braucht.» Aber vereinzelt trage sie Erlebtes mit sich herum, auch wenn sie genau weiss, dass der Tod zum Leben gehört. «Sehr oft bin ich anderseits auch beeindruckt, wie Betroffene gerade in ganz schwierigen Momenten neue Kraft entwickeln und damit umgehen lernen.»

Corona macht Arbeit herausfordernder

Die seit zwei Jahren währende Pandemie hat die Arbeit ihres Teams noch herausfordernder gemacht: Die Verständigung war wegen der Maske schwieriger, Patientinnen und Patienten litten teilweise unter den Folgen des Besuchsverbots oder einer verschobenen Operation und damit verbundener Ungewissheit. «Ich bin darum sehr dankbar, dass wir am LUKS immer da sein durften, wenn uns jemand rief. Und dass Angehörige immer von Sterbenden Abschied nehmen konnten. Das war sehr wichtig und wurde sehr geschätzt.»

Die Pandemie forderte auch die Mitarbeitenden immer wieder neu. Die Belastung stieg, die Unsicherheit war gross, insbesondere im ersten Halbjahr 2020. Später auch zwischen den Pandemie-Wellen, weil Operationen nachgeholt werden mussten. «Wir haben uns wenn nötig auch mit der HR-Abteilung und dem Personalärztlichen Dienst vernetzt, machten Fallbesprechungen und Austauschrunden mit dem Ziel, die Belastung besser handhaben zu können.»

Für alle Religionen offen

Der Leiterin des Seelsorgeteams, die diese Aufgabe Anfang 2022 von Nana Amstad übernommen hat, ist es ein grosses Anliegen, dass ihre Arbeit unabhängig vom religiösen oder kulturellen Hintergrund einer Person erfolgt. «Wir sind sehr offen gegenüber verschiedenen Lebensauffassungen und respektieren jede religiöse Herkunft. Wir nehmen damit auch einen Wandel in der Gesellschaft auf.» Diese Offenheit wolle sie bewusst ausbauen. Wichtig ist ihr auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Spital und im Team – natürlich immer unter Wahrung der Schweigepflicht. Zuweilen sei der Austausch von Erfahrungen im Team sehr wichtig.

Bevor sich Susann Schüepp vor fünf Jahren für die Arbeit am LUKS entschied, arbeitete sie in der Entwicklungszusammenarbeit (Fastenopfer). Zuvor hatte sie in einer Pfarrei und – im Rahmen ihres Doktorats – länger in Brasilien gearbeitet. Sie begegnete dort Armen und Analphabeten, leistete Bibelarbeit. «Die internationale Tätigkeit war sehr interessant, spannend und bereichernd, ich wollte aber einen engeren Kontakt mit Leuten. Seelsorge versteht sie als Begegnungen im Alltag, als Möglichkeit, Menschen bei Brüchen in einem Leben in ihrer Verletzlichkeit zu begleiten und ihre Herausforderungen meistern zu helfen. «Dabei helfen uns Empathie, Engagement – und oft auch Humor. Kranke Menschen sind viel mehr als das, was die Krankheit mit ihnen macht.»

Immer wieder Freiwillige gesucht

Das Seelsorgeteam am LUKS koordiniert und begleitet auch fünf Gruppen von Freiwilligen, die nachts Sitzwachen leisten und so die Pflege entlasten, Patientinnen und Patienten durchs Spitallabyrinth oder im Rollstuhl zum Gottesdienst begleiten, mit dem Bücherwagen aus der Bibliothek durch die Abteilungen fahren oder am Empfang mitarbeiten. Auch eine muslimische Besuchsgruppe ist mit dabei; ebenso melden sich für solche Arbeiten oft ehemalige Mitarbeitende. Weil es in den Reihen der rund 90 Helferinnen und Helfer aus gesundheitlichen oder Altersgründen immer wieder Lücken gibt, sind Interessierte jederzeit willkommen, sich für eine solche Aufgabe zu melden.

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