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Parkinson – ein bleibender Kampf

Luzerner Zeitung - Die Krankheit steht in der Öffentlichkeit ein wenig im Schatten der Alzheimer- Demenz. Aber auch Parkinson ist eine Herausforderung für die Gesellschaft. Und für die Forschung: Heilbar ist das fortschreitende Leiden nicht.
2. November 2014
Lesezeit: 6 Minuten
Bohlhalter Stephan WebseiteBanner

Prof. Dr. med. Stephan Bohlhalter, Chefarzt Neurozentrum

Experteninterview:

Wann muss man daran denken, möglicherweise an Parkinson zu leiden?

Parkinson beginnt meist einseitig mit Ruhezittern, Bewegungsverlangsamung und Muskel-Steifigkeit. Die Steifigkeit kann mit Schulterschmerzen einhergehen, sodass die Patienten nicht selten zuerst vom Rheumatologen gesehen werden. Beim Gang fallen eine kürzere Schrittlänge und eine nach vorne gebeugte Haltung auf. Die Schrift wird kleiner, und die Mimik vermindert sich (Maskengesicht). Die Parkinsonerkrankung kann aber auch mit nicht-motorischen Problemen beginnen wie Schlafstörungen, Müdigkeit und depressiver Stimmung. Häufiges Begleitsymptom ist auch die Verstopfung.

Das sind viele Symptome. Treten sie allmählich alle gemeinsam auf?

Nein, es müssen nicht alle vorhanden sein. Es gibt Patienten, bei denen zum Bespiel Zittern nie auftritt. Generell sind bei Parkinson hauptsächlich die automatischen Bewegungen (Gehen, Schreiben usw.) betroffen, die wir Gesunde ohne besondere Aufmerksamkeit ausführen können. Bei Parkinson haben die Bewegungen ihre Selbstverständlichkeit verloren. Deshalb haben die Patienten auch Mühe, mehrere Handlungen gleichzeitig auszuführen, etwa ein Tablett mit Gläsern zu balancieren und den Gästen ins Esszimmer bringen. Der Alltag wird anstrengend. Parkinsonpatienten kommen zwar meist auch an ihr Ziel, aber mit mehr Aufwand, das macht müde.

Obwohl es offenbar auch Patienten gibt, die nie zittern, verbindet man dieses Symptom am ehesten mit Parkinson. Zittern gleich Parkinson?

Das Parkinson-Zittern ist ein Ruhezittern und stoppt bei Bewegung, etwa beim Greifen nach einem Glas. Das Zittern ist häufig mehr sozial störend als im Alltag behindernd. Diese Beobachtung hilft, das Zittern von anderen Ursachen abzugrenzen. Die Grenzen sind aber nicht scharf. Es gibt Parkinson ohne Zittern, und es gibt Zittern ohne Parkinson.

Ist Parkinson eine Alterskrankheit?

Die Häufigkeit nimmt im Alter zu. Während bei der Durchschnittsbevölkerung die Häufigkeit bei 0,1 Prozent liegt, ist sie bei über 70-Jährigen bereits bei 2 Prozent. Aber: Bei immerhin 10 Prozent der Patienten beginnt die Krankheit unter 50. Männer sind leicht mehr betroffen als Frauen, im Verhältnis von zirka 3:2.

Wird Parkinson häufiger?

Weil die Menschen immer älter werden, ist zu erwarten, dass auch Parkinson häufiger wird. Genaue Statistiken gibt es meines Wissens nicht.

Einmal da, schreitet Parkinson zeitlebens fort. Gleichen sich die Krankheitsverläufe, oder ist das individuell?

Ja, die Krankheitsverläufe sind individuell. Es gibt milde Formen, die lange Jahre unter Behandlung wenig behindernd sind, und Verläufe, die mit rascherem Verlust von Selbstständigkeit einhergehen. Generell schreitet Parkinson bei späterem Beginn schneller voran.

Weshalb ist Parkinson nicht heilbar?

Weil wir trotz jahrzehntelanger Forschung immer noch nicht sicher wissen, was die Ursache ist, aus der sich gezielte Behandlungen entwickeln liessen.

Wird das vorderhand so bleiben?

Die Grundlagenforschung hat bei der embryonalen Stammzellentherapie Fortschritte gemacht, sodass mit einer Anwendung bei Parkinson in wenigen Jahren zu rechnen ist. Eine eigentliche Heilung ist bei dieser Behandlung aber auch nicht zu erwarten.

Kann man zumindest den Verlauf bremsen?

Ob wir mit Medikamenten den Verlauf wirklich bremsen können, ist nicht gesichert. Eine Verlangsamung des Krankheitsverlaufes von der Verbesserung der Symptome zu unterscheiden, ist nicht einfach. Wir haben heute aber in allen Stadien eine breite Palette von Behandlungsmöglichkeiten. Medikamente spielen dabei eine zentrale Rolle.

Das individuell richtige Medikament zu finden, scheint aber nicht einfach.

Tatsächlich muss man für jeden Patienten individuell die optimale Verteilung und Dosierung finden. Ein ewiges «Pröbeln» sollte das aber nicht sein. Wenn mit Medikamenten in Tablettenform keine befriedigende Einstellung der Beweglichkeit mehr erzielt werden kann, ist es Zeit, an die ­tiefe Hirnstimulation oder Infusionsbehandlungen zu denken.

Zunächst zu den Medikamenten: Werden sie laufend besser?

Das wirksamste und am besten verträgliche Medikament L-Dopa gibt es seit über 40 Jahren. Neuere Medikamente haben zwar Fortschritte gebracht, zum Beispiel in der Anwendung, sie sind aber entweder weniger wirksam oder haben mehr Nebenwirkungen.

Was ist mit der tiefen Hirnstimulation?

Damit werden tiefe Hirn­regionen, die für die Kontrolle von automatischen Bewegungen zuständig sind, mittels elektrischer Impulse gezielt beeinflusst. Sie werden von Batterien erzeugt, die unterhalb des Schlüsselbeins eingesetzt sind, und sie werden über unter der Haut verlaufende Kabel zu den im Gehirn eingesetzten Elektroden über­tragen.

Ist das ungefährlich?

Wie bei jedem chirurgischen Eingriff gibt eine gewisse Blutungs- oder Infektionsgefahr, die aber gering ist. Durch die Stimulation können unter anderem Sprechstörungen auftreten. Durch optimales Austesten der Stimulation während des Eingriffes können solche Nebenwirkungen aber minimiert werden. Allerdings ist das für den Patienten dennoch anstrengend, weil er wach sein muss und nur eine lokale Anästhesie erhält.

Und wozu dient das?

Unter den Medikamenten kommt es im Verlaufe der Erkrankung zu Wirkungsschwankungen. Die Wirkung lässt nach oder setzt unzuverlässig ein. Die tiefe Hirnstimulation kommt zum Zuge, wenn mit den Medikamenten keine stabile Einstellung mehr erzielt werden kann. Wir setzen sie früher ein, weil neue Studien bessere Ergebnisse und insbesondere eine bessere Lebensqualität zeigten.

Gibt es weitere Therapien?

Das Medikament L-Dopa kann in Form eines Gels (Duodopa) auch als Infusion direkt am Ort der Aufnahme, das heisst in den Dünndarm, verabreicht werden. Das geschieht durch eine Pumpe, die am Körper getragen wird. Sie kommt zum Einsatz, wenn die Voraussetzungen für die tiefe Hirnstimulation ungünstig sind, etwa bei Gleichgewichtsstörungen.

Und die Neurorehabilitation?

Sie ist in allen Stadien der Erkrankung sehr wichtig. In unserem Zentrum arbeiten wir Neurologen eng mit Physio- und Ergotherapeuten zusammen. Die Patienten lernen zum Beispiel, die Gehgeschwindigkeit über eine grössere Schrittlänge zu erhöhen. Auch Gleichgewichtstraining, das Stürzen vorbeugt, ist wichtig. Die Pflege ist in der Beratung unter anderem von Blasenfunktions- und Schluckstörungen sehr wichtig. Die Wirksamkeit der Neurorehabilitation ist wissenschaftlich erwiesen, das ist mir sehr wichtig zu betonen. Die Ergebnisse der Studien werden auch in hochrangigen Zeitschriften publiziert.

Kann Komplementärmedizin etwas zur Stabilisierung beitragen?

Es gibt Ayurveda-Produkte (Pulver, Kapseln) aus der indischen Heilkunde, die aus der Juckbohne hergestellt werden und L-Dopa enthalten. Diese sind in kontrollierten Studien wirksam, wobei die Fallzahlen gering waren. Aus der chinesischen Kultur ist Tai-Chi zu erwähnen, also das chinesische Schattenboxen, das erwiesenermassen wirksam ist bei Gleichgewichtsproblemen.

Fachleute betonen oft, Parkinson-Patienten könnten sehr lange ein Leben in guter Qualität führen. Spricht man aber mit Parkinson-Betroffenen, tönt das oft weit weniger zuversichtlich.

Ohne Zweifel kann Parkinson zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität führen und auch zu Depressionen, die man aber recht gut behandeln kann. Was sich nicht wegdiskutieren lässt: Im Verlauf der Erkrankung nehmen körperliche und kognitive Probleme zu, und die Behandlung wird komplexer. In späten Stadien sind die Patienten häufig auf pflegerische Hilfe angewiesen. Trotzdem können wir mit einer individuell optimal angepassten Therapie erreichen, dass auch nach 10 Jahren noch viele Patienten weitgehend selbstständig sind.

Viele Patienten können sich aber nur schwer abfinden mit der eingeschränkten Bewegungsfreiheit, mit plötzlich auftretenden Blockaden und mit der Verlangsamung des Denkens und des ganzen Lebens.

Bis vor wenigen Jahren haben wir Neurologen die kognitiven Probleme der Patienten unterschätzt. Allerdings dürfen die Verlangsamung im Denken und die Wortfindungsprobleme nicht mit Demenz gleichgesetzt werden. Es ist im Umgang mit den Patienten wichtig, ihm Zeit zu lassen, sich zu äussern. Das gilt übrigens auch für uns Neurologen, auch wenn wir in den Sprechstunden manchmal unter Zeitdruck stehen.

Eine Herausforderung ist Parkinson auch für die Angehörigen. Beziehen Sie diese in die Behandlung mit ein?

Auf jeden Fall, denn sie tragen oft die Hauptlast der Unterstützung und kennen die Probleme. Es ist mir als Arzt deshalb sehr wichtig, den Patienten und seinen Angehörigen die Hoffnung zu vermitteln, dass wir in allen Phasen der Erkrankung die Lebensqualität verbessern können. Es ist von grosser Bedeutung, die Angehörigen in die Behandlung miteinzubeziehen. Ich frage deshalb die Patienten häufig, wie ihre Partner mit dem Behandlungserfolg zufrieden sind. Das ist für mich ein wichtiger Gradmesser.

Autor: Hans Graber
Experte: Dr. med. Stephan Bohlhalter, Chefarzt Neurozentrum
Quelle: Luzerner Zeitung online vom 02.11.2014

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