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Warum hatte ich trotz gutem Immunsystem Corona?

Ich (m, 74) glaubte immer, dass mein Immunsystem gut ist. Trotzdem hatte ich im letzten Dezember Corona, und im Frühling 2021 wurde Prostatakrebs diagnostiziert. Kann man sein Immunsystem irgendwie messen? Die Antwort unseres Experten: Das Immunsystem kann nur jene Infektionen abwehren, die es kennengelernt und gegen die es schon Antikörper gebildet hat. Auch mit dem besten Immunsystem wird man beim ersten Kontakt mit dem Coronavirus mehr oder weniger krank werden.
10. September 2021
Lesezeit: 3 Minuten
Blick ins Zentrum für Intensivmedizin

Um Ihre Frage zu beantworten, muss ich etwas ausholen: Es gibt für das Immunsystem nicht einfach eine Zahl wie etwa für den Blutzucker, wo man klar sagen kann, ob Diabetes ja oder nein. Einen Wert, der besagt, ob das Immunsystem intakt ist oder nicht, gibt es nicht. Und es gibt auch nicht das Immunsystem. Jeder Mensch hat gewisse Veranlagungen, und auch sein Immunsystem kann deshalb ganz individuelle Strukturen haben. Wer gegen eine Krankheit immun ist, ist das nicht automatisch auch gegen andere.

Unser Immunsystem wird ein Leben lang aufgebaut und verändert. Bereits vor der Geburt erhält der Fötus von der Mutter Antikörper über die Plazenta, und mit dem ersten Schluck Muttermilch beginnt das Immunsystem seine Abwehr aufzubauen. Mit jedem Schnupfen, jedem Infekt und jeder Impfung lernt es fremde Strukturen (Antigene) kennen und bildet dagegen die Antikörper, die künftig bei Kontakt mit diesen Antigenen eine Abwehr- oder Entzündungsreaktion auslösen werden.

Komplexes Zusammenspiel verschiedenster Faktoren

Damit das Immunsystem diese lebenswichtige Rolle wahrnehmen kann, müssen das Zusammenspiel verschiedener Entzündungszellen und die Produktion der Antikörper funktionieren. Es gibt seltene Erkrankungen, bei denen das Immunsystem schon bei Geburt defekt ist, oder es kann im Lauf des Lebens vorübergehend geschädigt werden, etwa durch eine Chemotherapie oder eine HIV-Infektion.

Prof
Prof. Dr. med. Christoph Henzen, Departementsleiter Medizin am LUKS.
Auch mit dem besten Immunsystem werden Sie beim ersten Kontakt mit dem Coronavirus mehr oder weniger krank werden.

Dann treten typischerweise wiederholt schwere Infektionen auf wie Lungenentzündungen oder Abszesse. In einer solchen Situation kann man mit Laboruntersuchungen, welche Immunglobuline oder spezielle Lymphzellen messen, das Ausmass des Immundefizits bestimmen. Aber wenn Sie in der Vergangenheit nicht jedes Jahr schwere Infektionen hatten, dürfte Ihr Immunsystem intakt sein.

Auf die Abwehrkraft eines intakten Immunsystems wirken zahlreiche und zum Teil beeinflussbare Faktoren. Positive Faktoren sind zum Beispiel gesunde Ernährung, regelmässige körperliche Aktivität und psychische Ausgeglichenheit, zu den negativen gehören Übergewicht, Rauchen und belastender Stress. Die Körperabwehr kann auch durch Krankheiten und eine Vielzahl von Medikamenten geschwächt werden, was sich etwa in Pilzinfektionen der Haut äussern kann.

Das Immunsystem kann nur abwehren, was es kennt

Wichtig: Das Immunsystem kann nur jene Infektionen abwehren, die es kennengelernt und gegen die es schon Antikörper gebildet hat. Auch mit dem besten Immunsystem werden Sie deshalb beim ersten Kontakt mit dem Coronavirus mehr oder weniger krank werden. Tatsächlich haben Menschen, die besonders schwer an Covid-19 erkranken, meistens ein überreagierendes, also eigentlich «gutes» Immunsystem, das dann aber zu viele Entzündungsreaktionen produziert.

Zusammenfassend kann man sagen: Ihr Immunsystem ist ziemlich sicher «normal», da es Sie die Corona-Infektion gut überstehen liess. Vor der Diagnose Prostatakrebs konnte es Sie nicht schützen, da es sich dabei um eine Neubildung körpereigener Zellen handelt und nicht um eine Infektion von aussen.

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