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Wie gefährlich ist Schwindel? Und was kann man dagegen tun?

Zentralschweiz am Sonntag - Schwindel ist den meisten von uns vertraut. Mit zunehmendem Alter ist Schwindel aber nicht mehr bloss Begleiterscheinung von Karussellfahrten. Warum ist das so? Wie gefährlich ist Schwindel? Und was kann man dagegen tun?
25. November 2018
Lesezeit: 6 Minuten
Die Welt kreist, der Boden unter den Füssen wird einem entzogen. (Bild: Boris Bürgisser)

Die Welt kreist, der Boden unter den Füssen wird einem entzogen. (Bild: Boris Bürgisser)
 

Unser Gleichgewichtssystem sorgt zuverlässig dafür, dass wir nicht dauernd hinfallen. «An diesem System sind gleich mehrere Sinne beteiligt: Die Augen sehen die Umwelt, die Gleichgewichtsorgane im Innenohr messen die rotatorische und lineare Beschleunigung in allen Ebenen, und die Muskeln und Gelenke messen ihre Position und Veränderung der Position», erläutert Claudia Candreia, Leitende Ärztin in der Hals-Nasen-Ohren-Klinik am Luzerner Kantonsspital.

All diese Informationen fliessen im Hirn zusammen und ermöglichen über zwei Reflexe die kontinuierliche Stabilisierung der Augen und des Rumpfes. Versagt dieses komplexe System, wird einem schwindlig, es dreht sich oder schwankt alles, möglicherweise verlieren wir den Boden unter den Füssen.

Dass einem etwas schwindlig ist, haben sicher die meisten von uns schon erlebt. Tritt Schwindel aber öfter und mehr als vielleicht ein paar Minuten auf, ist es angezeigt, demnächst einmal den Hausarzt aufzusuchen. Gar den Notfalldienst alarmieren sollte man bei zusätzlichen Alarmzeichen wie Bewusstseinsveränderungen, heftigen Kopfschmerzen, die Unfähigkeit zu gehen und zu stehen, Gefühls- und Sprechstörungen oder das Sehen von Doppelbildern. Diese Symptome können schlimmstenfalls auf Hirnschlag oder Hirnblutung deuten.

Schwindel allein ist keine Krankheit

Aber auch ohne dramatisches Ereignis: Schwindel ist ein recht häufiges Thema in hausärztlichen Sprechstunden, vor allem bei älteren Leuten. Schwindel ist neben Kopfweh auch das häufigste neurologische Symptom überhaupt.

Womit auch gesagt ist: Schwindel allein ist keine Krankheit, sondern ein Symptom, das auf eine zugrunde liegende Krankheit hindeutet. Deshalb sind für den Arzt die Angaben des Patienten von grosser Bedeutung. Durch differenzierte Abklärung können die Beschwerden mit Befunden untermauert werden und die Ursache(n) objektiviert werden.

«Diese Ursachen sind vielfältig, häufig verursacht eine Kombination mehrerer Teilursachen den Schwindel. Er kann durch Störungen im Gleichgewichtssystem oder als Symptom bei anderen Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Beschwerden, Diabetes, Migräne usw. auftreten», sagt Fachärztin Candreia.

Zudem können auch psychische Belastungen ein Schwindelgefühl auslösen, das sich jedoch in der Regel vom Schwindel bei Gleichgewichtsstörungen unterscheidet und eher einem Ohnmachtsgefühl gleicht. Während in der englischen Sprache diese Arten differenziert werden – Vertigo (Gleichgewichtsstörung) und Dizziness (Ohnmachts- und Benommenheitsgefühl) –, läuft auf Deutsch alles unter der etwas ungenauen Bezeichnung Schwindel.

Gefährliche Ursachen ausschliessen

«Obwohl Schwindel meist harmlos ist, müssen immer auch zwar seltene, aber gefährliche Ursachen wie eine Durchblutungsstörung im Hirn ausgeschlossen werden können», sagt Claudia Candreia.

Neben einem ausführlichen Arzt-Patienten-Gespräch helfen bei der weiteren Abklärung Gleichgewichtstests, Untersuchungen der Augen und des Gehörs, gegebenenfalls auch eine Funktionsprüfung der Hirnnerven, eine Aufzeichnung der Hirnströme oder bildgebende Verfahren mit, eine Diagnose stellen zu können. Candreia: «Es ist glücklicherweise selten, dass keine Ursache für die Schwindelbeschwerden gefunden wird.»

Vielfältig sind auch die Formen des Schwindels. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Drehschwindel – wie auf dem Karussell, Schwankschwindel – wie auf einem Boot, Unsicherheitsgefühl – wie auf Kissen zu laufen. «All diese Arten von Schwindel sind grundsätzlich in jedem Lebensalter möglich», weiss Claudia Candreia.

Schwindel kann zu einem Teufelskreis führen

Mit zunehmendem Alter rückt Schwindel aber eindeutig vermehrt in den Fokus. Selbst bei gesunden älteren Menschen werden die Sinnesorgane allgemein schwächer. Kommen Erkrankungen und damit verbunden die Einnahme verschiedener Medikamente, wird Schwindel zusätzlich begünstigt. Studien zeigen, dass zwischen einem Viertel und einem Drittel der über 65-Jährigen schon Schwindelphasen durchgemacht haben. «Im Alter klagen Patienten häufig über Schwankschwindel und Unsicherheitsgefühl», erläutert die Hals-, Nasen-, Ohrenärztin. Mit oft gravierenden Folgen, denn der Schwindel führt gerade bei älteren Menschen zu relevanten Einschränkungen im Alltag und ist nicht selten mit wiederholten Stürzen verbunden. Weil bei älteren Menschen auch Osteoporose zunimmt, kann es bei solchen Stürzen relativ schnell zu Knochenbrüchen kommen und als Folge davon zu Immobilität und sozialem Rückzug.

«Es wundert deshalb nicht, dass Schwindel von Betroffenen als existenzielle Bedrohung wahrgenommen werden kann,» sagt Claudia Candreia.Das führt zu einem Teufelskreis, denn der Orientierungs- und Kontrollverlust löst Angst aus – was wiederum den Schwindel zusätzlich verstärkt und zu weiteren Beschwerden führen kann, unter anderem sind Nackenverspannungen typisch.

Für viele Schwindel gibt es wirksame Therapien

Eine einfache Erklärung für das Schwindelproblem und auch eine schnelle Lösung ist oft nicht möglich. Aber immerhin, so Claudia Candreia: «Für viele Schwindelursachen gibt es wirksame Behandlungsmöglichkeiten.» Medikamentös werden starke Schwindelbeschwerden zum Teil mit sogenannten Antivertiginosa behandelt. Sie wirken beruhigend auf das Brechzentrum im Gehirn und auf das Gleichgewichtszentrum. Beim Lagerungsschwindel kommen primär therapeutische Befreiungsmanöver zum Einsatz.

Wichtig ist auch eine Sturzprophylaxe mit Gleichgewichtstraining. Stolperfallen lauern überall, auch in den eigenen vier Wänden, von Teppichen mit aufstehenden Rändern bis zu allgemein schlechten Lichtverhältnissen. Dabei ist es ohnehin schon anstrengend genug, ständig mit dem Schwindel zu leben oder gegen ihn zu kämpfen, und dieser Kampf mit sich selber kann dazu führen, dass die Aufmerksamkeit für Sturzgefahren drinnen wie draussen beeinträchtigt ist.

Die häufigste Form

Eine der häufigsten Schwindelformen ist der gutartige Lagerungsschwindel. Wie der Name sagt, ist es eine harmlose Erkrankung, für Betroffene kann sie aber gleichwohl sehr unangenehm sein.

Hauptursache dieses Schwindels ist ein teils altersbedingtes Ablösen von Ohrensteinchen (Otolithen) im Innenohr. Diese Steinchen, auch Kristalle genannt, gelangen dann in die Bogengänge des Innenohres. Dort werden Drehbeschleunigungen erkannt. Die Steinchen führen durch Bewegungen zur Reizung dieses Sensors und lösen so Schwindel aus.

Typischerweise bemerkt der Patient beim Abliegen oder beim Drehen im Bett in eine bestimmte Richtung einen heftigen Drehschwindel, der leicht verzögert auftritt und nur wenige Sekunden dauert. Der Schwindel wird nur in einer bestimmten Position ausgelöst, ansonsten ist der Patient beschwerdefrei. 

Ein Lagerungsschwindel kann in der Regel rasch und auch erfolgreich behandelt werden. Dabei werden die Kristalle aus dem Bogengangsystem durch spezielle Übungen herausmanövriert, so dass sie den Drehbeschleunigungssensor nicht mehr reizen können. (nez)

Dosierung ist wichtig

Nach Abklärung verschiedener möglicher Ursachen werden in der Physiotherapie die einzelnen Parameter des Gleichgewichtssystems gezielt trainiert. «Ein klassisches Trainingsprogramm setzt sich aus Übungen zusammen, welche das vestibuläre System anregen, also die Wahrnehmung des Körpers zu Schwerkraft, Bewegung und Gleichgewicht. «Wir machen Übungen, die die Kompensation von Gleichgewichtsproblemen trainieren», sagt Bernadette Vögele, Leitung Therapien ambulante Neurorehabilitation am Luzerner Kantonsspital.

Dabei sei ein sehr regelmässiges Training in der richtigen Dosierung wichtig: «Der Schwindel darf durch die Übungen provoziert werden, muss sich aber schnell wieder erholen und sollte sich durch die Übungen nicht verstärken.» Bernadette Vögele macht ein Beispiel aus dem Alltag: «Wenn Sie jahrelang nicht auf einem Karussell waren, wird es Ihnen vermutlich schwindlig, wenn Sie das erste Mal wieder Karussell fahren. Wenn Sie das aber regelmässig machen, werden Sie mit grosser Wahrscheinlichkeit weniger Mühe haben. Wichtig ist, dass Sie jeweils nicht so lange Karussell fahren, bis es Ihnen übel wird, sondern nur so lange, bis Sie leichte Symptome spüren und dann eine Pause einschalten.» Ähnlich verhalte es sich, wenn man sich aufgrund des Schwindels nur noch sehr vorsichtig bewege und sich zum Beispiel kaum traue, sich umzuschauen. Hier könne zu Beginn schon das Umdrehen eine Übung sein.

Was tun bei akutem Schwindel? Sich festhalten, sich setzen oder hinlegen, den Kopf nicht oder nur langsam bewegen.

Autor: Natalie Ehrenzweig
Quelle: Zentralschweiz am Sonntag vom 25.11.2018

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