«Wir müssen das Gesundheitswesen noch stärker als Netzwerk denken»

Balthasar Hug, Sie sind Chefarzt für Innere Medizin und Professor für Community Care an der Universität Luzern. Nun übernehmen Sie den Vorsitz des Zentrums für Hausarztmedizin und Community Care. Was ist die Aufgabe dieses Zentrums?
Das Zentrum setzt sich für eine bessere und zukunftsorientierte medizinische Grundversorgung ein. Gemeinsam mit unseren Partnern entwickeln wir neue Versorgungsmodelle, die auf die Bedürfnisse der Bevölkerung reagieren. Dazu gehören Hausarztinstitute, Spitäler, Pflegeeinrichtungen und die öffentliche Hand. Wichtig ist, dass wir über Verbesserungen nicht nur reden wollen, sondern sie auch in der Praxis umsetzen und wissenschaftlich begleiten.
Und welche Rolle spielt das LUKS in dieser Zusammenarbeit?
Als Zentrumsspital ist das LUKS ein zentraler Akteur im Gesundheitswesen – sowohl in der Akutversorgung als auch an den Schnittstellen zu hausärztlichen Praxen. Gerade beim Ein- und Austritt von Patientinnen und Patienten aus dem Spital zeigt sich, wie wichtig eine gute Kommunikation und klare Prozesse sind. Hier können wir aus universitärer Sicht mit dem Spital gemeinsam Strukturen aufbauen, Informationsverluste vermeiden und die Versorgungskette stärken.
Was bedeutet «Community Care» konkret für Patientinnen und Patienten?
Hier geht es in erster Linie um die medizinische Betreuung ausserhalb des Spitals, also dort, wo die Menschen leben. Hausärzte, Spitex, Physiotherapie und andere Fachbereiche sollen besser miteinander vernetzt und koordiniert werden, damit auch nach einem Spitalaufenthalt eine nahtlose Betreuung gewährleistet werden kann.
Können Sie uns ein Beispiel dafür geben?
Gerne. Der Informationsverlust an den Schnittstellen, also Ein- und Austritt aus einem Spital, ist eine der zentralen Herausforderungen. Ein älterer Patient kommt nach einer Hüftoperation wieder nach Hause. Dank einer standardisierten digitalen Übermittlung weiss seine Hausärztin genau, welche Medikation und Physiotherapie verordnet worden und welches die nächsten Schritte für diesen Patienten sind. Auch die Spitex ist informiert. Sie weiss, was sie kontrollieren soll, und kann bei Fragen direkt Rücksprache halten. Das vermeidet Doppeluntersuchungen, gibt dem Patienten Sicherheit und verbessert die Behandlungsqualität.
Warum ist diese enge Zusammenarbeit zwischen Spitälern, Hausarztpraxen und weiteren Akteuren im Gesundheitswesen Ihrer Meinung nach so entscheidend?
Für mich hängt die Qualität einer Behandlung auch, aber nicht nur von der ärztlichen Kompetenz ab, sondern vor allem davon, dass die Schnittstellen zwischen den Institutionen gut funktionieren. Hier geht häufig viel Wissen verloren. Solche Informationslücken wiederum führen zu Verzögerungen, Mehrkosten und potenziell zu schlechteren Behandlungsergebnissen. Wenn wir die Übergänge zwischen den Schnittstellen besser strukturieren und aufeinander abstimmen, profitieren alle davon, vor allem aber die Patientinnen und Patienten.
Welche Vorteile bringt die Verbindung von Forschung, Lehre und Praxis?
Sie ist zentral, um das System lernfähig zu machen. Wenn wir Forschung direkt mit der klinischen Arbeit verbinden, gewinnen wir Daten und Erkenntnisse, die uns dabei helfen, bessere Versorgungsmodelle zu entwickeln. So können wir beispielsweise untersuchen, welche Betreuungsformen nach einem Spitalaufenthalt besonders wirksam sind und diese Erkenntnisse wieder in den Arbeitsalltag im Spital zurückführen. Die Forschung hat unter anderem gezeigt, dass bei weitem nicht alle Patientinnen und Patienten aus medizinischen, sondern aus sozialen Gründen hospitalisiert werden. Diese Hospitalisationen aus sozialen Gründen sind unnötig, teuer und belasten das Spitalsystem. Sie könnten durch einfache Interventionen ausserhalb des Spitals frühzeitig erkannt und angegangen werden.
Das klingt so, als ob Ihre Doppelrolle an der Universität und im Spital ganz neue Perspektiven eröffnet. Welche Chancen sehen Sie darin?
Ich sehe eine grosse Chance darin, Lehre, Forschung und Patientenversorgung enger miteinander zu verbinden. So können wir die Zusammenarbeit zwischen Spitälern, Hausarztpraxen und weiteren Institutionen vertiefen. Unser Ziel ist eine Gesundheitsversorgung, die als Netzwerk funktioniert und nicht als Aneinanderreihung einzelner Stationen. Nur wenn alle Akteure an einem Strang ziehen, können wir die Qualität nachhaltig verbessern und Ressourcen gleichzeitig effizienter einsetzen.
Was motiviert Sie persönlich an dieser Aufgabe?
Ich sehe jeden Tag, wie engagiert Menschen im Gesundheitssystem arbeiten – angefangen von Pflegefachpersonen über Therapeutinnen und Therapeuten bis hin zur Ärzteschaft. Gleichzeitig spüre ich, wie komplex und fragmentiert das System geworden ist. Mich motiviert die Idee, diese positive Energie zu bündeln und die Zusammenarbeit zu erleichtern. Damit vermitteln wir Patientinnen und Patienten, was sie am meisten brauchen: Vertrauen, Sicherheit und eine qualitativ hochstehende Gesundheitsversorgung.
Spezialisten
Fachbereiche
