Direkt zum InhaltDirekt zum Fussbereich

«Urologische Probleme im Alter bedingen einander»

medEdition Blog - Eine benigne Prostatahyperplasie (BPH) und eine Erektile Dysfunktion (ED) betreffen Männer in zunehmendem Alter. BrainMag sprach mit Prof. Dr. med. Agostino Mattei, Chefarzt für Urologie am Luzerner Kantonsspital, über Risikofaktoren, Begleiterkrankungen und aktuelle Therapieansätze der BPH und ED.
28. Oktober 2019
Lesezeit: 7 Minuten
mattei agostino webseiteportraitbreit

Athena Tsatsamba Welsch im Gespräch mit Prof. Dr. med. Agostino Mattei

BrainMag: Prof. Mattei, die benigne Prostatahyperplasie (BPH) ist eine Erkrankung des alternden Mannes. Was sind die typischen Symptome?

Prof. Dr. med. Agostino Mattei: Eine gutartige Veränderung der Prostata kann obstruktive und / oder irritative Symptome des unteren Harntraktes (LUTS) verursachen. Bei der obstruktiven Symptomatik haben Patienten Mühe Wasser zu lösen, sie haben einen schwachen Harnstrahl, beobachten ein Nachträufeln und verspüren ein Restharngefühl. Im Gegensatz dazu zeichnet sich die irritative Symptomatik durch einen nicht schmerzhaften aber stetigen Harndrang aus. Dieser unbeherrschbare Drang kann sogar zu einem ungewollten Urinverlust führen. Die Beschwerden können für beide Symptomatiken von ganz leicht bis invalidisierend schwer ausgeprägt sein. Bei letzterer gehen Betroffene nicht mehr von zu Hause weg, aus Angst, keine Toilette bei Einkäufen, beim Spaziergang oder Kinobesuch aufsuchen zu können. Das schränkt Betroffene in ihrer Lebensqualität sehr ein.

Ist für die Diagnose eine Abklärung beim Urologen notwendig oder kann der Hausarzt die Diagnose selbst stellen?

Die anfängliche Diagnostik einer BPH mit obstruktiven und irritativen Symptomen erfolgt in der Regel beim Hausarzt. In der Anamnese berichtet der Patient über die Häufigkeit des Wasserlassens, die Stärke bzw. Schwäche des Harnstrahls, ein mögliches Nachträufeln sowie ein Restharngefühl. Falls der Hausarzt über ein Ultraschallgerät und die entsprechende Expertise verfügt, kann er im Anschluss an die Anamnese den Restharn nach einer Blasenentleerung messen. Klinisch wird in der Regel eine Restharnmenge bis 100 ml toleriert. Massgebend für die Diagnose ist vor allem die digitale rektale Untersuchung; sie definiert die Oberflächenstruktur und Grösse der Prostata. Wird die Untersuchung als schmerzhaft empfunden, kann eine Prostatitis vorliegen. Ist die Prostata nicht homogen und verhärtet, kann das auf eine bösartige Veränderung deuten. Wir empfehlen den Patienten in jedem Fall eine Quantifizierung der Symptome durchzuführen anhand eines standardisierten Fragebogens, dem International Prostate Symptom Score. Dieser Test enthält sieben Fragen zu Symptomen der BPH und eine Frage zur Lebensqualität.

Wann sollte der Hausarzt einen Patienten zum Spezialisten überweisen?

Bei anhaltenden Beschwerden trotz medikamentösem Therapieversuch sollte eine Zuweisung zum Urologen erfolgen. Liegt der Verdacht auf eine Neoplasie vor wie zum Beispiel einem Prostata- oder Blasenkarzinom, ist eine sofortige Überweisung zum Urologen angezeigt.

Wann ist eine Behandlung nötig?

Eine Behandlung ist sowohl bei einer unvollständigen Blasenentleerung nötig, als auch bei hohem subjektivem Leidensdruck wegen obstruktiven und / oder irritativen Symptomen. Eine chronische Blaseentleerungsstörung mit Restharnbildung kann zu irreversiblen Schäden der Blasenwand und des oberen Harntrakts führen.

Welche Behandlungsmöglichkeiten empfehlen Sie?

Die Grundlage für Allgemeinpraktiker, Internisten und Urologen bildet die medikamentöse Behandlung. Bei der obstruktiven Symptomatik führen α1-Adrenozeptor-Antagonisten (α1-Blocker) zu einer sofortigen Entspannung der glatten Muskulatur im Blasenhalsbereich und zu einer besseren Miktionseinleitung bei einer kleinen wie auch grossen Prostata. Die Therapie mit 5α-Reduktase-Inhibitoren (5-ARI) wie zum Beispiel Finasterid und neu auch Dutasterid bewirkt eine langsame und andauernde Verkleinerung der prostatischen Hyperplasie im Bereich der Drüse. Allerdings empfehlen wir diese Therapie erst ab einem Prostatavolumen von über 40 ml Grösse, weil ein Schrumpfungspotenzial vorhanden sein muss. Es besteht auch die Möglichkeit einer Kombinationstherapie mit α1- Blocker und 5-ARI. Allerdings muss bei der Therapie mit Kombinationspräparaten die Prostata gross genug sein, um von dieser Behandlung profitieren zu können. Bei der irritativen Symptomatik wenden wir Antimuskarinika an. Ein weiterer Ansatz, um einen Drang zu vermeiden und die Blase zu beruhigen, stellt die Behandlung mit β3- adrenergen Rezeptor-Agonisten dar. Die Therapie mit Mirabegron wirkt vor allem bei der motorischen Form der Dranginkontinenz und zum Teil auch bei der sensorischen Urge. Während bei einer sensorischen Dranginkontinenz die Blase bei geringem Füllstand mit Handrang reagiert, zieht sich bei der motorischen Form der Blasenschliessmuskel krampfartig zusammen und beginnt, sich selbständig und ungewollt zu kontrahieren.

Gibt es neue Operationsverfahren für die Therapie der BPH?

Auf dem diesjährigen Kongress der European Association of Urology in Barcelona wurde die Aquablation als neuer operativer Therapieansatz präsentiert. Dabei wird die Prostata durch einen athermischen HochdruckWasserdampfstahl ausgehöhlt. Eine weitere minimal-invasive Therapieoption ist die Embolisation der Prostataarterien. Diese ist besonders für Patienten geeignet, deren Risikoprofil keine chirurgische Intervention erlaubt. Bei der Embolisation wird kein Prostatagewebe entfernt, sondern die Gefässe, welche die Prostata mit Blut versorgen, werden mit einem Angio-Katheter verschlossen. Mit einer gewissen Verzögerung kommt es zu einer Reduktion des Prostatavolumens und zu einer Verbesserung der Blasenentleerungsfunktion. Eine weitere minimalinvasive Therapie ist die photoselektive Vaporisation der Prostata mit dem GreenLightTM-Laser. Zwar sind Laserverfahren an sich nicht neu, aber bei dieser Methode führt die optimierte Laserenergie zu einer starken Erhitzung und schliesslich zur Verdampfung des Gewebes. Ein herkömmliches Verfahren, welches nach wie vor etabliert ist, ist die transurethrale Resektion der Prostata (TUR-P). Dabei wird das überschüssige Prostatagewebe über die Urethra operativ mit einer Elektroschlinge entfernt.

Welche Therapieoptionen sind denn für betagte Männer oder für Männer mit vielen Komorbiditäten besonders geeignet?

Die operativen Verfahren, minimal-invasiven Methoden und medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten unterscheiden sich bei betagten Männern und Männern mit vielen Komorbiditäten nicht. Bei der medikamentösen Therapie sollte der behandelnde Arzt allerdings darauf achten, dass die Einnahme von α1-Blockern beim älteren, fragilen Mann nicht zur einer Orthostase oder Hypotonie führt, die in Unwohlsein oder Stürzen mündet.

Welches sind die häufigsten Ursachen einer Erektilen Dysfunktion (ED)?

Die erektile Funktion ist ein Thermometer hinsichtlich des Zustandes des Gefässsystems. Je gesünder das Gefässsystem eines Mannes ist, desto besser wird seine erektile Funktion sein. Aus organischer Sicht korrelieren die Ursachen der erektilen Dysfunktion oft mit einer generellen Durchblutungsstörung. Daher haben kardiovaskuläre Erkrankungen wie die arteriosklerotische Herz-Kreislauf-Erkrankung, die arterielle Hypertonie, aber auch metabolische Erkrankungen wie Diabetes mellitus sowie nicht erkannte entzündliche und neurologische Erkrankungen einen grossen Einfluss auf die Entwicklung einer ED und natürlich auch einer BPH. Mit zunehmendem Alter haben Männer ein höheres Risiko, ein Metabolisches Syndrom zu entwickeln.

Wie soll der Hausarzt reagieren, wenn ein Patient über eine ED klagt: zum Urologen überweisen, einfach einen Phosphodiesterase-5-Hemmer geben oder soll er selbst Abklärungen vornehmen?

Das kommt auf das Alter des Patienten an. Während der Hausarzt bei älteren Männern probatorisch einen Phosphodiesterase-5-Hemmer verordnen kann, um zu sehen, ob die Medikamente anschlagen, ist das bei jungen und mittelalten Männern der falsche Weg. Eine Überweisung zum Urologen ist meines Erachtens unabdingbar. Wichtig ist es, die Ursache zu ermitteln. Nicht selten ist die ED das erste Symptom für eine systemische Erkrankung, die behandelt werden muss. Durch eine genaue Anamnese können ggf. noch andere Erkrankungen diagnostiziert werden, wie unter anderem eine hormonelle Dysbalance, metabolische Probleme oder ein Tumor an der Hypophyse. Darüber hinaus gibt es mit dem International Index of Erectile Function (IIEF) einen standardisierten Fragebogen, der eine ED quantifizieren kann.

Durch welche therapeutischen Massnahmen kann sich die erektile Dysfunktion verbessern?

Bei einer organischen also kardiovaskulären, metabolischen und / oder neurologischen Ursache muss primär die Grunderkrankung behandelt werden. Als supportive Therapie für die Behandlung einer ED sind PDE5-Hemmer die erste pharmakologische Option. Es gibt diverse orale Präparate, die sich hinsichtlich des Wirkungseintritts und der Halbwertszeit mit bis zu 17 Stunden unterscheiden. Die Wahl des Wirkstoffs hängt von der Patientenpräferenz ab: Möchte der Patient eine Therapie on demand oder eine dauerhafte Therapie per os? Schlägt die orale Therapie nicht an, ist der nächste Behandlungsschritt eine Injektion mit einem Prostaglandin, welches intracavernös gespritzt wird oder die intraurethrale Applikation mit Hilfe eines Gels, wobei diese Wirkung nicht lange anhält. Die sog. Schwellkörper-Autoinjektionstherapie funktioniert fast immer, auch wenn viele orale Präparate wirken. Die Penispumpe oder der Penisring sind mechanische Hilfsmittel, die in Kombination mit der medikamentösen Therapie angewandt werden können, um eine Erektion aufrechtzuerhalten. Die Implantation einer Penisprothese ist der letzte Schritt und sollte nur in Ausnahmefällen in Erwägung gezogen werden.

Welche Therapie empfehlen Sie Patienten mit ED und BPH?

Bei einer kombinierten Problematik wie einer ED und einer Blasenentleerungsfunktionsstörung aufgrund einer BPH empfehlen wir nicht nur eine Kombinationstherapie mit einem α1-Blocker und einem PDE5-Hemmer. Eine noch relativ neue Therapieoption ist die Gabe von 5 mg Tadalafil am Tag, mit der wir beide Beschwerden gut behandeln können. Diese Dosierung eignet sich vor allem für die Behandlung der ED und der BPH im Anfangsstadium.

Quelle: medEdition Blog vom 22.10.2019

Artikel teilen

Mehr zum Thema

Für LUKS-Newsletter anmelden

Wählen Sie Ihre Abonnements

War diese Seite hilfreich?