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Eine Parkinson-Welle rollt auf uns zu

NZZ am Sonntag - Die demografische Entwicklung und die Umweltverschmutzung begünstigen die Zunahme von Parkinson. In der Schweiz wird sich die Zahl der Patienten bis 2040 verdoppeln.
28. März 2019
Lesezeit: 4 Minuten
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Etwa 200 Jahre sind vergangen, seitdem der britische Chirurg James Parkinson die nach ihm benannte Parkinsonsche Erkrankung erstmals beschrieb. Sie ist die Folge eines Mangels an Dopamin, einem Botenstoff, der für die Bewegungssteuerung wichtig ist. Dieser Mangel entsteht, weil in einem Gehirnbereich, der Substantia nigra, die Dopamin produzierenden Zellen absterben. Ursache sind Verklumpungen von fehlgefaltetem Alpha-Synuclein, einem Protein, das in korrekt gefaltetem Zustand die Dopaminausschüttung reguliert.

Heute ist die Parkinson-Erkrankung nach Alzheimer die zweithäufigste neurodegenerative Krankheit. Etwa 10 Prozent der Betroffenen erkranken aufgrund einer genetischen Anfälligkeit bereits in mittleren Jahren, etwa 90 Prozent sind bei Erkrankungsbeginn jedoch älter als 65 Jahre.

Wissenschafter der University of Rochester in New York sind nun der Frage nachgegangen, wie sich die Zahl der Betroffenen in den nächsten Jahren entwickeln wird. Sie entwarfen ein Modell, in dem sie einerseits die demografische Entwicklung und andererseits die typischen Einflussgrössen berücksichtigten.

Umweltfaktoren spielen eine Rolle

Wie die Forscher zeigen, ist allein aufgrund der demografischen Entwicklung bis 2040 mit einer Verdoppelung der Patientenzahlen auf 12 Millionen zu rechnen (« Journal of Parkinson’s Disease »). «Sie erwarten sogar einen Anstieg auf bis zu 17 Millionen Betroffenen, weil die Industrialisierung auch in anderen Teilen der Welt zunimmt und künftig die Umweltbelastung durch Schwermetalle und Pestizide eine noch grössere Rolle spielen dürfte», sagt Günter Höglinger von der Neurologischen Klinik der Technischen Universität München. «Für China wird mit einer Zunahme der Parkinson-Fälle gerechnet.»

Parkinson-Symptome

Zu den motorischen Symptomen gehören

  • einseitiges Ruhezittern,
  • charakteristischer gebeugter, kurzschrittiger Gang und Muskelsteifigkeit.


Zu den unspezifischen Symptomen zählen

  • Verstopfung,
  • Depression,
  • Antriebsmangel,
  • Schulterschmerzen aufgrund von Muskelsteifigkeit,
  • REM-Schlaf-Verhaltensstörungen,
  • Sprachstörungen,
  • Apathie,
  • eine gestörte Geruchswahrnehmung und starkes Schwitzen.

Tatsächlich spielen Umweltfaktoren bei der Entwicklung der Parkinson-Krankheit eine wichtige Rolle. «Wie relevant Umweltfaktoren sind, wird durch die Tatsache verdeutlicht, dass Parkinson die einzige neurologische Krankheit ist, die alterskorrigiert zunimmt», sagt Stephan Bohlhalter, Chefarzt am Neurozentrum des Luzerner Kantonsspitals und Präsident des fachlichen Beirats der Schweizerischen Parkinson-Vereinigung. «Für die Schweiz bedeutet das, dass von derzeit 15 000 Patienten ein Anstieg auf etwa 30 000 Patienten bis 2040 zu erwarten ist.

» Die Parkinson-Therapie zielt darauf ab, den Mangel an Dopamin auszugleichen. Das ist mit dem seit 50 Jahren verwendeten L-Dopa möglich. Es gelangt über die Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn und wird dort zu Dopamin umgewandelt. «Das L-Dopa ist immer noch die wirksamste und am besten verträgliche Therapie», sagt Bohlhalter.

Allerdings verliert das Medikament mit den Jahren an Wirksamkeit. «Die Einzeldosis wirkt nicht mehr so lange, und es treten Wirkungsschwankungen auf», sagt Bohlhalter. Die haben zur Folge, dass es zu plötzlicher Unterbeweglichkeit oder unkontrollierbarer Überbeweglichkeit, sogenannten Dyskinesien, kommt. «Die Patienten fühlen sich ausgeliefert, was für sie schlimm ist.»

In der Schweiz ist ein Anstieg von derzeit 15 000 auf etwa 30 000 Parkinson-Patienten bis zum Jahre 2040 zu erwarten.

«Treten bei der L-Dopa-Einnahme Wirkungsschwankungen auf, ist das der Zeitpunkt, an dem man eine Tiefenhirnstimulation in Erwägung ziehen sollte», sagt Bohlhalter. Bei dieser kurz THS genannten Therapieoption werden Elektroden in einem Teil des Zwischenhirns eingepflanzt. Sie verändern mittels elektrischer Impulse die Funktion in den stimulierten Gehirnbereichen. Dieser Hirnschrittmacher wirkt sich auf die motorischen Fähigkeiten der Patienten sehr positiv aus, und es ist möglich, die tägliche L-Dopa-Dosis deutlich zu verringern. Allerdings schreitet der neurologische Abbau bis hin zur Demenz weiter fort, die THS kann ihn nicht aufhalten.

Eine weitere Therapieoption bei älteren und kognitiv etwas eingeschränkten Patienten mit Gleichgewichtsproblemen ist eine Infusionsbehandlung mit der Duodopa-Pumpe. Dafür wird eine L-Dopa kontinuierlich abgebende Sonde direkt im Darm angebracht. Diese Therapieoptionen wie auch Physio-, Bewegungsund Sprachtherapie können die Lebensqualität verbessern. Körperliche Aktivität ist für Patienten in allen Erkrankungsstadien sehr vorteilhaft.

Bewegung verbessert Denkleistung

Ein vor kurzem erschienener Übersichtsartikel belegt, dass Bewegung wie aerobes Training zum Beispiel auf dem Laufband, das Denkvermögen der Betroffenen verbessert (« Journal of Parkinson’s Disease »). Das ist vor dem Hintergrund, dass Parkinson zwar das Demenzrisiko erhöht, die Lebenserwartung aber kaum verringert, für die Lebensqualität des Patienten besonders wichtig.

Dank intensiver Forschung zu Parkinson könnte es in ein paar Jahren möglich sein, die Entstehung von AlphaSynuclein-Verklumpungen und damit das Absterben der Dopamin produzierenden Nervenzellen zu verhindern. Eine in den Stoffwechsel eingreifende Behandlung mit Antikörpern gegen Alpha-Synuclein wird derzeit in klinischen Studien getestet. Diese Antikörper sollen als «Impfstoff» die weitere Ausbreitung des fehlgefalteten Alpha-Synucleins und damit das Fortschreiten der Erkrankung im Gehirn verhindern, sagt Höglinger.

Möglicherweise entstehen diese Klumpen aber nicht erst im Gehirn, sondern bereits in der Nase oder dem Darm. Die typischen Klumpen aus fehlgefaltetem Alpha-Synuclein wurden jedenfalls auch dort gefunden. Entlang des Vagusnervs, genauer des Riechnervs könnte das Alpha-Synuclein dann bis zum unteren Hirnstamm gelangen. Gelänge es irgendwann diese frühere Phase zu erkennen, könnte man mittels Impfung die Ausbreitung ins Gehirn womöglich verhindern.

Autor: Gerlinde Felix
Quelle: NZZ am Sonntag vom 28.03.2019

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