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«Adipositas ist eine Krankheit und sollte behandelt werden»

Zum Welt-Adipositas-Tag am 4. März erklären die beiden Leiter des Adipositaszentrums Zentralschweiz, warum stark übergewichtige Menschen nicht stigmatisiert werden sollten und welche Behandlungsmethoden es heute gibt.
4. März 2025
Lesezeit: 3 Minuten

43 Prozent der Bevölkerung in der Schweiz waren 2022 gemäss dem Bundesamt für Statistik übergewichtig oder adipös. Als stark übergewichtig (adipös) gelten Menschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) über 30. Dr. med. Lukas Burget, Leitender Arzt Endokrinologie/Diabetologie, und Dr. med. Martin Sykora, Chefarzt Chirurgie, räumen mit Vorurteilen und falschen Annahmen auf. 

«Es braucht nur Disziplin und Wille.» Stimmt nicht!

Lukas Burget: Adipositas ist eine chronische, hormonelle Stoffwechselstörung, der meist eine ungünstige genetische Veranlagung zugrunde liegt. Unser «Appetitzentrum» im Gehirn wird von zahlreichen Hormonen beeinflusst. Diese Hormone regulieren die Freisetzung von Substanzen, die den Appetit erhöhen oder verringern. Zusammen mit Belohnungsmechanismen und Essgewohnheiten steuern sie die Nahrungsaufnahme. 

Dieses genetisch bedingte, hochkomplexe Appetit- und Stoffwechselsystem wird seit weniger als hundert Jahren mit einem ständigen Kalorienüberschuss konfrontiert – und es funktioniert bei adipösen Personen nicht korrekt. Nur Wille und Disziplin reichen bei dieser Krankheit nicht. 

«Dick sein ist nicht schlimm, wenn man sich in seinem Körper wohl fühlt.» Stimmt nicht!

Martin Sykora: Es geht nicht um «Body Positivity». Übergewicht ist kein Lifestyle-Thema, sondern eine ernsthafte Erkrankung, die teils erheblichen Folgeerkrankungen nach sich zieht. Dazu gehören Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Herzinfarkte, Schlaganfälle und Vorhofflimmern. Adipositas verursacht häufig Gelenkprobleme wie Knie- und Hüftarthrose. Auch Fettleber, Nierenprobleme und Gallensteine sehen wir oft bei Übergewichtigen. 

Zudem ist Adipositas mit einem erhöhten Risiko für bestimmte Krebsarten, wie Brust-, Darm- und Gebärmutterkrebs verbunden. Vergessen darf man auch nicht psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen, die durch die psychische Belastung und Stigmatisierung verstärkt werden. Adipositas ist eine Krankheit, die behandelt werden sollte.

«Gesund essen und Sport machen, dann wird man auch schlank.» Stimmt nicht!

Lukas Burget: Ab einem gewissen Punkt können Übergewichtige nicht mehr selber abnehmen. Wenn jemand stark Gewicht verliert, interpretiert der Körper dies als «Kalorienmangel» und versucht, das ursprüngliche Gewicht durch vermehrtes Essen und geringeren Energieverbrauch zurückzugewinnen – und wir sehen den berühmten «Jo-Jo-Effekt». 

Natürlich spielen bei einer Adipositas-Behandlung auch Lebensstiländerungen wie Ernährungsumstellungen und Bewegung eine wichtige Rolle. Deshalb arbeiten wir am Adipositaszentrum Zentralschweiz im Team mit der Ernährungsberatung, Physiotherapie, Case Management, Psychologie und Psychiatrie eng zusammen. 

Damit Übergewichtige jedoch deutlich Gewicht verlieren können, sind weitere Therapien nötig. Mit den neuen Abnehmspritzen können wir das wichtige Stoffwechselhormon GLP1 nachahmen. Dadurch erhöht sich u.a. das Sättigungsgefühl und wir erreichen Gewichtsverluste von teilweise über 20 Prozent des Startgewichtes innerhalb von 18 Monaten. 

Wenn nötig lässt sich ein langfristiger Gewichtsverlust von durchschnittlich 25 bis 35 Prozent mit einer Operation erreichen, bei welcher der Magen verkleinert wird. Dadurch wird der hormonelle Regelmechanismus verändert, der das Hunger- und Sättigungsgefühl steuert. Auch eine Kombination von medikamentöser und chirurgischer Therapie ist möglich in besonderen Fällen mit Gewichtsreduktion bis 40 Prozent. Beide therapeutischen Möglichkeiten haben einen günstigen Einfluss auf das Entstehen oder bereits vorhandene Folgeerkrankungen wie beispielsweise einen Diabetes mellitus Typ 2.

Welche Behandlung am besten geeignet ist, besprechen wir individuell mit den Betroffenen. 

«Dicke sind zufrieden und gemütlich.» Stimmt nicht!

Martin Sykora: Es mag solche Menschen geben. Wir erleben dies in unseren Sprechstunden jedoch anders. Viele Menschen mit schwerem Gewicht werden in eine Rolle gedrängt und damit stigmatisiert. Sie gelten fälschlicherweise oft als faul oder weniger intelligent und werden beruflich oder bei der Partnersuche benachteiligt. Darunter leiden viele ihr Leben lang. Schon in der Schule bekommen übergewichtige Kinder oft schlechtere Noten als schlanke und sie werden in der Klasse oder beim Spielen ausgegrenzt. 

Diese Stigmatisierung ist psychisch sehr belastend für die Betroffenen. Dabei haben sie gleich viel Intelligenz, Willenskraft und Fleiss wie Normalgewichtige. Adipöse Menschen haben eine chronische Erkrankung. 

Die beiden Leiter des Adipositaszentrums Zentralschweiz: Dr. med. Martin Sykora (links) und Dr. med. Lukas Burget

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